Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
Obwohl sie ihren Verfolgern immer wieder entkamen, die hinter ihren Barrikaden im letzten Waggon hervorstürzten, wurde es zunehmend schwieriger.
Einmal hätte Oscar beinahe einen Verfolger erschossen. Es war Nacht. Auf der trockenen Erde hatten sie keine verwertbaren Spuren hinterlassen. Der Verfolger war barfuß, wie die englischen Askaris oft, und bewegte sich wie Chui und Simba fast lautlos in der Dunkelheit. Oscar stand reglos und ganz still da. Das einzige Licht, das ihm zur Verfügung stand, waren eine Mondsichel und die Sterne. Er zielte mit seinem Jagdgewehr mehr auf Geräusche als auf Sichtbares. Der Mann kam bis auf drei Meter an ihn heran. Noch einen Schritt weiter, dann hätte Oscar ihn erschießen müssen. Werner und die anderen Kameraden waren über hundert Meter entfernt, im Busch ein großer Abstand bei Dunkelheit. Ein Schuss hätte bei den Verfolgern nur für Verwirrung und Entsetzen gesorgt. Aber wie durch eine göttliche Vorsehung überlegte es sich der Verfolger im letzten Augenblick anders. Er machte kehrt und schlug eine andere Richtung ein. Oscar, der noch keinen Menschen im Krieg getötet hatte, atmete auf. Gleichzeitig stellte er resigniert fest, dass es vermutlich nur eine Frage der Zeit war. Krieg war Krieg. Aber je länger er seinen Krieg unter humanitären Formen betreiben konnte, desto besser.
Mit der Kronborg änderte sich alles. Sie hatte Wilhelmshaven unter dänischer Flagge mit jütländischer Besatzung verlassen. Der Kapitän hieß Karl Christiansen. Sie hatte die Shetlandinseln nördlich und die Färöer südlich umfahren und einen Monat später, ohne von der englischen Flotte behelligt worden zu sein, die Kapverdischen Inseln erreicht. Von dort war sie, ohne Benutzung des Funkgeräts, bis zur deutschen Hafenstadt Tanga weitergefahren. Das
Schiff war ein Blockadebrecher, dem beinahe Erfolg beschieden gewesen wäre. Aber am 14. April entdeckte die HMS Hyacinth , was sich anbahnte. Sie ließ sich von der dänischen Fahne nicht täuschen und nahm die Verfolgung auf.
Kurz vor Tanga ließ Kapitän Christiansen, die HMS Hyacinth in Sichtweite, seine Besatzung an Land bringen, übergoss das Deck mit Öl, öffnete die Ventile im Rumpf, setzte die Kronborg auf Grund und entzündete das Öl, als der englische Kreuzer das Feuer auf die Kronborg eröffnete. Dichter Rauch stieg auf. Die Engländer fuhren noch eine Weile mit dem Beschuss des Schiffes fort, dann drehten sie bei.
Oscar hörte von der Geschichte, als er nach Tanga abkommandiert wurde, um an der Bergungsarbeit teilzunehmen. Alle Pioniere hatten diesen Befehl erhalten, was eigentlich gar nicht notwendig gewesen wäre, da die Afrikaner mit der Bergung schon recht weit gekommen waren. Oscars Beitrag beschränkte sich dann darauf, eine Straße am Ufer zu bauen, um die Transporte vom Schiff zu erleichtern. Die Bergung dauerte zwei Monate. Oscar hatte nach dem Bau der Straße vom Strand bis zur Stadt nicht mehr viel zu tun. Im Kaiserhof lernte er ein Mitglied der dänischen Besatzung kennen, Nils Kock, der ein unverständliches Jütländisch sprach, was aber immer noch leichter zu verstehen war als sein Deutsch. Nils Kock erzählte ihm, dass die Engländer nicht genug Verstand besessen hätten, die Kronborg vollständig zu zerstören.
Aus dem Schiff wurden zweitausend Mausergewehre, fünf Millionen Patronen, Sprengstoff, elektrische Detonatoren, Fernsprechausrüstungen, Lebensmittel, Medizin
und tausend Granaten für den Kreuzer Königsberg geborgen, den die Engländer immer noch nicht aufgebracht hatten. Es hieß, die Königsberg verstecke sich irgendwo weiter südlich, könne aber die Fahrt nicht fortsetzen, da der Kohlevorrat zur Neige gegangen sei. Die Kronborg hatte tausendsechshundert Tonnen Kohle geladen, die für die Heimreise der Königsberg bestimmt gewesen waren. Die Schlacht im Indischen Ozean ließ sich also nicht gewinnen. Der Sieg gegen die Engländer musste zu Land errungen werden.
Es war eine angenehme Zeit, falls sich ein Krieg überhaupt als angenehm beschreiben ließ. Deutschland schien in jeder Hinsicht erfolgreich zu sein. Anfang des Jahres hatte Paul von Lettow-Vorbeck eine Truppe angeführt, die die Grenzstadt Jasin eingenommen hatte. Damit hatte er den Engländern die letzte Möglichkeit verbaut, auf dem Landweg von Mombasa nach Daressalam zu gelangen.
Die Engländer setzten nun alles daran, Mbyuni in ihrem eigenen Territorium zu erreichen, um von dort aus Taveta zurückzuerobern. Sie wurden jedoch
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