Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
sich auf dem Heimweg von einem sehr erfolgreichen Einsatz befanden. Stundenlang sprach niemand, alle hingen ihren eigenen Gedanken nach.
Oscar vermutete, dass sie sich nicht groß voneinander unterschieden. Wie sollte man auf Dauer einen Feind besiegen, dem Verluste nichts auszumachen schienen? Jetzt, 1915, standen Paul von Lettow-Vorbeck ungefähr zehntausend Mann zur Verfügung, dreitausendfünfhundert Deutsche und sechstausendfünfhundert Askaris. Es hieß jedoch, dass die Truppenstärke der Engländer bereits fünfzigtausend Mann überstieg. Weitere fünfzigtausend Mann wurden erwartet. Jedes Mal, wenn ein deutsches Heer ein englisches besiegte, kam es unausweichlich zu Verlusten, bisher zwar nur geringen, verglichen mit den Verlusten des Feindes, aber doch Verlusten, die nicht auszugleichen waren. Oscar versuchte diese unbehagliche Rechnung von sich zu schieben, was ihm nicht sonderlich gut gelang. Er vermutete, dass er nicht als Einziger solch defätistischen Gedanken nachhing. Der Anblick, der sich ihnen in dem aufgegebenen englischen Krankenlager geboten hatte, hatte die Frage beantwortet, wie England sein Imperium hatte errichten können.
In Taveta wurde der verwundete Avande sofort ins Feldlazarett gebracht, wo ihm mehrere Granatsplitter aus dem rechten Bein operiert wurden. Dr. Seitz, der die Operation durchführte, versicherte, dass der Patient in zehn Tagen wieder einsatzfähig sein würde, und so war es dann auch. Werner Schönfeldt nahm ihn in die Sabotagetruppe
auf, und Oscar erhielt den Auftrag, ihn in der neuen elektrischen Sprengtechnik auszubilden. Oscar war zwar kein Elektroingenieur, aber die ausführlichen deutschen Bedienungsanleitungen, die neuer Ausrüstung immer beilagen, verstand er mühelos.
In den Fieberträumen flossen seine Erinnerungen und Halluzinationen in schriller Disharmonie ineinander wie die Kakofonie aus dem Orchestergraben kurz vor Beginn einer Oper. Er schleppte die Kanonen von der Königsberg , nachdem die Engländer sie versenkt hatten. Vom schwülen Rufijidelta, wo das Wrack lag, waren es sechzig Kilometer bis zur Eisenbahn in Morogoro, ein scheinbar unmögliches Unterfangen. Deutsch-Südwestafrika kapitulierte, und er sah, wie sich die südafrikanischen Offiziere in einer Reihe aufstellten, um das begehrte englische Kriegskreuz in Empfang zu nehmen, das genauso viel wert war wie ein Eisernes Kreuz Erster Klasse. Sie hatten zusammengenommen dreizehn Deutsche in diesem Krieg getötet und verliehen zwölf dieser Orden. Nein, das sah er nicht. Das war ein Traum, etwas, das er gehört hatte. Die Südafrikaner hatten sich jedenfalls auf die Seite der Engländer geschlagen. Die 1st South African Mounted Brigade , vier Regimenter, war in Mombasa eingetroffen, er sah die homogene weiße Truppe die Gangway hinuntergehen und triumphierend die breitkrempigen Hüte schwingen. Nein, auch dies konnte er nicht mit eigenen Augen gesehen haben, auch dies wusste er nur aus Berichten.
Er versuchte, sich darauf zu besinnen, wo er sich befand, aber es gelang ihm nicht. Im Nachbarbett lag ein dänischer
Seemann, offenbar in tiefem Fieberschlaf. Auf der anderen Seite lag ein Askari-Soldat mit einer Schussverletzung. Aber statt nach Blut und Exkrementen roch es nur schwach nach Karbol. Eine sanfte Brise strich durch das Gebäude, da man die geflochtenen Seitenwände zum Durchlüften aufgerollt hatte.
Er sprengte Eisenbahnen und Brücken in die Luft. Zuletzt hatten sie auch eine Maschinengewehrtruppe mitgenommen. Zum Transport eines auseinandermontierten Maschinengewehrs waren drei Träger nötig. Als die englischen Soldaten aus ihren umgestürzten Waggons krochen, kümmerten sich die Maschinengewehrschützen um sie. Er selbst schoss wie gewöhnlich nur auf die Pferde, wenn die Kavalleristen angriffen. Er sah alles vor sich, träumte es, als geschähe es in diesem Augenblick, obwohl ihm seine Vernunft sagte, dass es schon lange her sein musste. Das war oben im Norden gewesen, auf englischem Territorium, jetzt befand er sich im Süden in der Nähe des Meeres, weil er sich an das Schiff Marie erinnerte, als sei es erst kürzlich gewesen, was vielleicht auch zutraf. Er sah ihre Ladung in einem einzigen Durcheinander am Strand – er hatte den Karrenweg vom Strand ins Dorf gebaut, so war es –, Kanonen verschiedener Art, fünfzigtausend fertig gepackte Trägerlasten mit Proviant und Medizin und zweihundert Kilo Chinin gegen Malaria. Jetzt hatte ihn diese Krankheit offenbar doch eingeholt.
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