Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
einzige zivilisierte Mann im Lager und derjenige, der alle Beschlüsse fassen musste, die nichts mit Medizin oder Gesundheit zu tun hatten. Solange es darum ging, Brückenbogen zu vermessen oder Plätze zu bestimmen, an denen Brückenfundamente gegossen werden konnten, war es kein Problem. Seine Autorität wurde nicht angezweifelt. Kein Neger hatte je Veranlassung, ihn zu hinterfragen. Und nun gingen sie davon aus, dass er ihre einzige Rettung vor einem grauenvollen Tod zwischen Simbas Reißzähnen war.
Er hatte einmal miterlebt, wie vier Löwen ein Zebra in Stücke gerissen hatten. Es lebte noch, als sie mit ihrem Mahl begonnen hatten. Erst hatten sie ihm den Bauch aufgerissen. Es gab keinen Grund zur Annahme, dass sie menschliche Beute anders behandeln würden.
Viel Gutes konnte er aus der zivilisierten Welt herüberbringen, um den Schwarzen Kontinent zu verwandeln, er wie alle anderen Weißen. Aber jetzt war er sich nicht sicher,
ob er den Ansprüchen seiner Arbeiter Genüge leisten könnte.
Es gab nur eine vernünftige Lösung, ganz gleichgültig, wie sich das auf den Respekt der Eingeborenen ihm gegenüber auswirken würde. Sich zu drücken wäre reiner Irrsinn.
Er verfluchte seine Nachlässigkeit bei den spätabendlichen Sprachübungen mit Hassan Heinrich, bei denen er Deutsch geredet, Hassan Heinrich seine Worte wiederholt und dann auf Swahili geantwortet hatte. Er hätte sich jetzt nämlich gerne unter vier Augen mit Kadimba unterhalten, damit im Lager so wenige wie möglich mitbekamen, dass er sich Rat bei einem Neger holen musste. Aber das ging jetzt nicht, die Sache war zu ernst, als dass er sich auch nur das kleinste sprachliche Missverständnis erlauben konnte. Er stellte das Grammofon ab und schlug auf den Gong neben der Zeltöffnung. Sofort trat Hassan Heinrich ein.
»Bring Kadimba so schnell wie möglich zu mir!«, befahl er. »Ich will, dass du bei dem Gespräch dabei bist, damit wir beide ganz sicher sein können, was der andere sagt.«
Kadimba war noch nie in Oscars Zelt gewesen und sichtlich verlegen, als er hinter Hassan Heinrich eintrat. Sie waren zwar zusammen auf die Jagd gegangen, um Nashörner und andere Störenfriede zu dezimieren oder die Fleischvorräte aufzufüllen, aber sie hatten sich noch nie in so einem privaten Rahmen getroffen.
Wie die meisten Eingeborenen im Busch besaß Kadimba mehr oder weniger groteske Tätowierungen und rituelle Ritzungen auf der Haut. Das war nichts Ungewöhnliches. Aber die Narbenlinien auf Kadimbas Wangen sahen aus, als wären sie Krallenspuren wilder Tiere nachempfunden.
Oscar erkundigte sich danach, und es zeigte sich, dass er richtig geraten hatte. Die Narben sollten aussehen, als stammten sie von Löwenkrallen.
Kadimba war Mitglied eines Stammes, der in der Nähe des Sees lebte, den die Mzungi Victoriasee nannten. Wie auch für die Massai weiter im Norden hatte Simba als Feind und auch als übersinnliches Wesen mit magischen Kräften eine große Bedeutung. Um in die Gemeinschaft der Jäger und erwachsenen Männer aufgenommen zu werden, mussten die jungen Männer mit Speer und Schild bewaffnet einen Löwen töten. Wer im Kampf keine Kratzwunden davontrug, bekam sie beim Initiationsfest in die Wangen geritzt. Es war ehrenvoller, wenn Vater oder Onkel dem jungen Mann bei dem großen Fest die Wunden beibrachten, denn das zeigte, dass man die Begegnung mit Simba unbeschadet überstanden hatte und zu den Jägern mit Glück gehörte.
Oscar bat Kadimba um die Ausarbeitung einer Strategie für die bevorstehende Jagd. Sollte man versuchen, die Löwen zu schießen, wenn sie zurückkamen, um weitere Menschen zu erlegen, oder sollte man versuchen, sie vorher aufzuspüren? Oscar versuchte, die Fragen selbstsicher vorzutragen.
Während Hassan Heinrich dolmetschte, war Kadimbas Gesichtsausdruck zu entnehmen, dass die Fragen wichtig und schwierig zu beantworten waren. Kadimba dachte eine Weile nach und begann dann, eine Antwort zu formulieren.
»Simba weiß, wo wir sind, aber wir wissen nicht, wo er ist. Das müssen wir zuallererst bedenken, Bwana Oscar«, begann er. »Ich kann die beiden Brüder für euch aufspüren,
und wir haben zehn Askaris im Lager. Das sind zehn Gewehre, außerdem haben wir ein Mausergewehr, und ich könnte mir vielleicht Ihre Mannlicher borgen. Trotzdem wäre es keine gute Idee. Es ist besser, zu warten, bis die zwei Brüder kommen, denn sie kommen ganz sicher.«
»Warum?«, fragte Oscar verblüfft, ohne abzuwarten, bis Hassan
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