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Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Die Brückenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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keinen Sinn, ihnen bei der eigentlichen Arbeit dauernd über die Schulter zu schauen, am allerwenigsten, wenn man jung und ein Neuling war.
    Das sei alles. Zumindest, wenn es darum ging, zu beschreiben, was die Arbeit an der Bergenbahn von anderen Arbeitsplätzen im Land unterscheide.
    Daniel Ellefsen verstummte, als wäre damit alles gesagt. Lauritz saß mit gerunzelter Stirn da und legte sich seine erste Frage zurecht.
    »Was ist ein Einschnitt?«, begann er und kam sich unerhört dumm vor.
    Statt einer Antwort tauchte Daniel Ellefsen den Zeigefinger in sein Weinglas und zeichnete einen weiten Bogen auf den Tisch.
    »Berghang«, sagte er knapp und malte ein großes L in diesen Berghang.
    »Einschnitt. Der Zug muss den Berghang auf ebenem Grund umrunden.«
    »Ja, natürlich«, erwiderte Lauritz verlegen. »Mir sagte das Wort nur im ersten Moment nichts. Und nun zu einer schwierigeren Frage. Wie in aller Welt verhandele ich mit dem Vormann über den Akkord?«
    »Das ist zu Anfang in der Tat schwer«, gab sein Kollege zu. »Der Vorarbeiter unterbreitet dir einen Vorschlag, der
etwas über dem Preis liegt, den er für die Arbeit haben will. Dann feilschst du ein wenig, ihr gebt euch die Hand, und der Handel ist perfekt. Du kannst auch sagen, dass du erst einmal darüber nachdenken müsstest, und fragst mich. Irgendwann hast du es raus, schwerer ist es nicht. Der Vorarbeiter, den du morgen kennenlernst, heißt Johan Svenske. Er ist einer der besten, seit achtzehnhundertfünfundneunzig hier oben. Aber jetzt muss ich wirklich ins Büro!«
    Er stand hastig auf und signalisierte Lauritz, ihm ins Obergeschoss zu folgen. Die Dämmerung hatte eingesetzt, und sie zündeten eine Petroleumlampe an. Lauritz bekam eine Ledermappe mit Papieren ausgehändigt, auf der sein Name stand.
    Sie enthielt Entwürfe für drei Brücken, seine erste Aufgabe. Er konnte keinen Fehler entdecken, beschloss aber, sich erst einmal die Bauplätze anzusehen, ehe er dazu Stellung nahm. Jetzt konnte er nicht viel tun. Also entschuldigte er sich und ging zu Bett. Daniel Ellefsen war tief in seine Baupläne versunken und führte auf einem Papier, das er neben sich liegen hatte, Berechnungen durch. Er schien gar nicht zu bemerken, dass Lauritz ging, und erwiderte auch nichts, als dieser ihm eine gute Nacht wünschte.
    In seinem Schlafzimmer war es eiskalt, aber er hoffte, dass die Schafsfelle warm genug sein würden. Erneut spürte er seinen Muskelkater. Es fiel ihm schwer, eine Liegeposition zu finden, die nicht schmerzte.
    Dies war seine Betstunde. Aber er betete nicht auf gewöhnliche Weise zu Gott. Er faltete nicht die Hände und schloss nicht die Augen. Er argumentierte mit Gott. Er dankte ihm für seine glückliche Ankunft, ohne die Schwierigkeiten, die ihn nach der Beschreibung von Kollege Ellefsen
zu urteilen, erwarteten, zu erwähnen. Das Wesentliche war die Prüfung, die ihm Gott nun auferlegte. Wie lange sie dauern würde, war ungewiss, er wusste nur, dass er sie bestehen musste. Gott prüfte alle Menschen. Wer diese Prüfungen bestand, konnte möglicherweise, aber auch das war unsicher, mit einer Belohnung rechnen. In Lauritz’ Fall ging es einzig und allein um Ingeborg und sonst nichts. Für sie würde er alles ertragen.

IV
OSCAR
    Deutsch-Ostafrika, Mai 1902

    Als der lange Regen endlich versiegte, kam es ihm vor, als wäre die Nässe bis in seine Seele gekrochen. Die feinkörnige Erde, aus der die Afrikaner Lehmziegel herstellten, hatte sich in roten Morast verwandelt, und die Rückkehr der Sonne verwandelte das Lager in eine Dampfsauna oder ein türkisches Bad.
    Er hatte darauf bestanden, vor Ort zu sein, als der Regen am stärksten, der Wasserstand der drei Flussarme des Msuri am höchsten und die Strömung am stärksten war. Das war eine Frage des gesunden Menschenverstandes. Er musste auf einer Strecke von weniger als zwei Kilometern drei Brücken bauen und wollte um jeden Preis den Fehler seines Vorgängers vermeiden, dessen Konstruktionen zu niedrig gewesen und bereits nach den ersten zwei Wochen der langen Regenzeit weggerissen worden waren. Ein nachvollziehbarer Fehler, der die Arbeiten allerdings um zwei Monate zurückgeworfen hatte, da sie wieder von vorn hatten anfangen müssen.
    Afrikanische Flüsse unterschieden sich von den Flüssen der zivilisierten Welt darin, dass sie den größten Teil des
Jahres harmlos aussahen, wie das Adernetz einer Sandwüste, ohne einen sichtbaren Tropfen Wasser. Aber in der Regenzeit verwandelten sie

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