Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Die Brückenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
Vom Netzwerk:
Heinrich fertig gedolmetscht hatte.
    Kadimba erklärte, er kenne diese zwei alten Löwen, möglicherweise sei er ihnen schon einmal in einer anderen Welt oder zu einer anderen Zeit begegnet. Wie dem auch sei, er spürte sie in sich. Ihre Spuren, ihre Vorsichtigkeit und ihr Appetit auf Menschenfleisch hatten ihm verraten, wer sie waren und wie sie dachten. Sie waren beide sehr alt, vielleicht neun oder zehn Jahre, und vollkommen kahl, ohne Mähne. Vielleicht konnten die beiden noch immer Mbogo , den alten einsamen Büffel, töten, aber nicht einmal das sei sicher. In ein paar Jahren, wenn ihre Zeit gekommen war, würden die Hyänen sie einen nach dem anderen reißen. Vorher jedoch stand ihnen noch ein großer Vorrat an leicht zu erbeutenden Menschen zur Verfügung, um sich zu stärken und ihr Leben zu verlängern. Sie waren beide geübte und listige Jäger und wussten, dass sie nur bei Dunkelheit jagen konnten. Tagsüber schliefen sie in einem guten Versteck. Das bedeute, dass, wenn man sie schließlich aufspürte, was nach dem langen Regen und bei der feuchten Erde nicht so schwer sein dürfte, jedes Gestrüpp ihr Lager sein konnte. Und zehn Askaris in Lederstiefeln und Gamaschen und mit einem Gewehr auf dem Rücken, die durchs Gebüsch streiften, würden den Brüdern auf einen Abstand von fünf weiten Speerwürfen verraten, dass Menschen kamen, um sich zu rächen. »Junge Löwen würden vermutlich
angreifen, wenn sie sich verfolgt fühlten. Das ist bei diesen zwei Brüdern anders. Sobald sie uns hören, werden sie sich verstecken. Ich verfolge ihre Spur weiter, und sie weichen erneut aus. Sie warten auf die Dunkelheit, und wir müssen vor Einbruch der Dunkelheit umkehren. Wenn wir wüssten, wo sie ihr Lager haben, und wenn wir diesem nahe genug kommen könnten, wenn sie jeden Tag zum selben Platz zurückkehrten, dann könnten wir sie einkesseln, den Kreis langsam verkleinern und sie schließlich bei ihrem Versuch, auszubrechen, erschießen. Aber wir wissen noch nicht genug, um sie auf diese Weise zu töten. Wir müssen das anders angehen, sie erschießen, wenn sie nachts ins Lager kommen. Aber das kann dauern. Wenn Simba heute Nacht kommt, wird er verwirrt und misstrauisch sein, weil wir das Lager verändert haben. Wenn Ihr mich fragt, wird er heute Nacht nicht kommen und auch nicht morgen, obwohl wir sicher frische Spuren in der Nähe finden werden. Er wird erst kommen, wenn er hungrig ist. Aber dann hat er sich die Boma bereits ausgesucht, die er angreifen will. In der dritten Nacht nach heute müssen wir Wachen aufstellen, am besten an einem hohen Platz mit Überblick, vielleicht auf dem Dach eines der Vorratswaggons, wo das Gleis endet.«

    Kadimbas Worte erwiesen sich als zutreffend. In der dritten Nacht, nachdem das Lager umgestellt und mit zusätzlichen Feuern und Verschanzungen aus Dornengestrüpp um die inzwischen aufgeteilten Zeltgruppen ausgerüstet worden war, kehrten die beiden Löwen zurück.
    Am frühen Abend saß Oscar auf dem Dach eines Vorratswaggons bequem in einem Sessel aus seinem Zelt mit
einer Decke über den Beinen und seinem Mausergewehr auf dem Schoß. Solange es hell genug war, um zu schießen, fühlte er sich zuversichtlich. Kadimba hatte ihn beruhigt, dass Löwen schnell starben, wenn man sie am Rumpf und nicht an den Extremitäten traf. Traf man Schulter, Herz oder Lungen, starb die Bestie sofort. Ein Löwe bot eine große Angriffsfläche, und Bwana Oscar war schließlich ein guter Schütze.
    Der Sonnenuntergang war seit dem Ende der Regenzeit vor einigen Wochen wieder ein rot glühendes Schauspiel. Die Geräusche der Dämmerung im Busch waren ihm inzwischen vertraut, auch wenn er die deutschen Namen der Vögel und Frösche nicht kannte. Eine Lemurenart, die sich durch ein eigentümlich klägliches Plärren auszeichnete, kannte er nur bei ihrem englischen Namen: Bush Baby. Die deutsche Akademie der Wissenschaften hatte sich noch nicht zu einem Namen durchringen können.
    Die Feuer loderten hoch auf, und er hörte die gedämpften Stimmen der Arbeiter, die sich in ihren Burgen aus Dornenreisig zur Ruhe begaben. Er empfand in diesem Moment fast so etwas wie Wohlbehagen. Dass die Nächte im Mai manchmal noch recht kühl waren, machte dem Norweger nichts aus, der von den feuchtkalten Nächten zu Hause am Fjord ganz anderes gewohnt war.
    Zu Hause am Fjord. Er hatte diese Worte auf Norwegisch gedacht, was ihn erstaunte. Er dachte sonst immer auf Deutsch, wenn er sich nicht gerade Vokabeln auf

Weitere Kostenlose Bücher