Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
es ja nicht funktionieren. Sie, Herr Ingenieur, messen und errechnen die Winkel und Abstände, aber um den Bau kümmere ich mich. Ist das in Ordnung?«
»Ich denke schon«, antwortete Lauritz. »Sechzehn Brücken, das ist wirklich allerhand. Wollen Sie wissen, wie viele ich gebaut habe?«
»Nein, aber vermutlich keine hier oben im Schnee.«
»Überhaupt keine!«
Johan Svenske war erst verblüfft, dann lachte er. Sie gaben sich herzlich die Hand. Sie waren sich einig.
Ohne die unerträglichen Schmerzen wäre seine Heimfahrt angenehm gewesen wie ein Sonntagsspaziergang an der Elbe. Die Sonne schien von hinten, und auf ebenen Wegabschnitten kam er vorwärts, ohne Hüfte, Oberschenkel und seine Blasen an den Füßen übermäßig zu belasten. Auch bergauf war es nicht so schwierig, wie er befürchtet hatte. In der Eisrinne, die am Vortag aus Schneematsch bestanden hatte, arbeitete er sich mithilfe der Skistöcke vorwärts, außer an den ganz steilen Stellen. Dort musste er die Skier abschnallen und mit quer gestellten Stiefeln bergauf gehen, wie man es bei Bergwanderungen tat. Diesmal hatte er es nicht eilig, er würde so zeitig zurück sein, dass er bis zum Abendessen noch ein wenig ausruhen konnte. Und bis zum Whisky, dachte er erwartungsvoll. Den Daniel hoffentlich nicht auch nur schweigend genießen würde.
Trotz idealer Schneebedingungen wankte er völlig zerschlagen aufs Bett zu und lag erst einmal sehr lange da, unfähig, sich die Stiefel auszuziehen. Noch einmal bei Morgengrauen aufstehen zu müssen, um sich wieder auf den Weg zu machen, hätte er nicht geschafft. Zum Glück war der nächste Tag der Ruhetag des Herrn, und das wollte er buchstäblich nehmen. Er würde keinen Muskel bewegen und nur lesen.
Er hatte nur wenige Bücher mitgenommen, aber Shakespeares gesammelte Werke in einem Band auf Bibeldruckpapier und das dicke Buch über Shakespeare von Georg Brandes würden eine Weile vorhalten. Über Shakespeare wusste er nicht einmal ein Zehntel so viel wie über Goethe und Schiller, weil er sich fürs Englische nie sonderlich interessiert hatte.
Stöhnend und jammernd und dankbar, dass ihn niemand
sah oder hörte, zwang er sich schließlich, aufzustehen, um Stiefel und Kleider auszuziehen. Kurz darauf schlief er tief und fest.
Estrid hatte ein Festmahl zubereitet mit Dörrfleisch als erstem Gang und anschließend dem Paradegericht auf der Hardangervidda, Schneehuhn à la Ingenieur, was hieß, in Sahnesoße, mit Kartoffeln und Möhren, und dazu gab es einen Rotwein. Lauritz kam das wie eine göttliche Belohnung nach bestandener Prüfung vor. Da wurde sogar Daniel Ellefsen munter und bemühte sich, noch vor dem Whisky eine Unterhaltung in Gang zu bringen. Lauritz ermunterte ihn mit allerlei Fragen.
Daniel antwortete einsilbig, aber Lauritz gab nicht klein bei, sondern fragte hartnäckig weiter, während er mit dem Rotwein das delikate Schneehuhn hinunterspülte. Dabei erfuhr er von Daniel eine seltsame, aber vielleicht auch typische Geschichte über Nygård.
Der Bauer, dem Lauritz noch nicht begegnet war, obwohl er formell der Hauswirt der beiden Ingenieure war, hieß Tollef Nygård und war der leidenschaftlichste und sicher auch beste Jäger der Gegend, besonders was wilde Rentiere betraf. Den größten Teil vom Rentierfleisch und den Schneehühnern verkauften er und sein Sohn Ole in Geilo und deckten sich dort mit Mehl-und Kaffeevorräten ein.
Tollefs bester Freund und Jagdkumpan hieß Gjert Kaardal. Die harte Jagd im Winter hatte die beiden im Laufe der Jahre zusammengeschweißt. Irgendwann gelangten sie zu der Überzeugung, dass es der gemeinsamen Jagd zuträglich wäre, wenn Gjerts Tochter Sigrid und Tollefs Sohn heirateten. Also wanderte Gjert eines schönen Sommertages
mit seiner Tochter und einer prächtigen Milchkuh den mit einer dünnen Schneedecke überzogenen elf Kilometer langen Weg nach Nygård. Dort angekommen, übergab er die Kuh und schob seine heftig errötende Tochter zur allgemeinen Betrachtung vor. Alles lief nach Plan. Ole, der Sohn, verliebte sich auf der Stelle. Dass an dieser Geschichte etwas dran sein musste, konnte man daran erkennen, dass die Nygård-Bäuerin Sigrid immer noch ein stattliches Frauenzimmer war.
All dies erzählte Daniel Ellefsen bereits beim Rotwein, wenn auch nur auf gezielte Fragen hin, die schon den Charakter eines Verhörs annahmen.
Der Whisky löste seine Zunge dann noch mehr. Er stellte sogar Gegenfragen, beispielsweise zu Lauritz’ Ingenieurexamen.
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