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Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Die Brückenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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schon seit vielen Jahren nicht mehr gegeben, denn sonst verschwand der Schnee in den Tälern und an den Hängen immer erst im Juli. Es hatte jedoch seit Wochen nicht mehr geschneit, und die Blumenpracht auf den Matten war förmlich explodiert, zuerst die weißen Eisranunkeln, die in langen Streifen wuchsen und an Schneewehen
erinnerten, die nicht schmolzen, und deren Farbe jetzt ins Violette changierte. Gräser, Flechten, gelber und purpurner Steinbrech und Moose färbten die Täler und die Hänge abwechselnd gelb, violett, rosa, tiefblau und grün, hin und wieder sogar schwarz oder grau.
    Lauritz saß an der Ruderpinne einer Arendal-Jacht und genoss das Dasein wie schon lange nicht mehr. Beim Segeln verflüchtigten sich alle düsteren Gedanken, wie lange seine Gefangenschaft im Fjell wohl noch dauern mochte. Oder wie lange Ingeborgs Vater ihre Ausflüchte, noch eine weitere Ausbildung zu benötigen, ehe sie einen passenden Mann heiraten konnte, noch tolerieren würde. Gelegentlich grübelte er auch darüber nach, wie es seiner Mutter Maren Kristine in Tyssebotn wohl ging – ihre Briefe waren nicht sehr aufschlussreich –, oder in welcher Hütte man ihn im kommenden Winter einsperren würde.
    In diesem Augenblick jedoch waren seine Gedanken nur mit dem Segeln beschäftigt und mit der Frage, ob sein Talent dafür möglicherweise genetisch bedingt war. Konnte er segeln, weil er bis zu seinem zwölften Lebensjahr in einer Welt gelebt hatte, in der alle segeln konnten? Oder lag es in den Genen und hatte sich über Jahrhunderte vererbt? Zu Hause auf Frøynes segelte man seit tausend Jahren. Genügten tausend Jahre für eine genetische Mutation, von der Darwin sprach, und um eine besondere, segelnde Menschenrasse zu schaffen? Er hatte ehrlich gesagt keine Ahnung, Genetik war nicht sein Fach, er beschäftigte sich nur mit Fragen, die sich mithilfe eines Rechenschiebers beantworten ließen.
    Es wurde jedenfalls skeptisch beäugt, dass sich ein Ingenieur um die Segelboottransporte für den Eisenbahnbau
kümmerte, als wäre diese Arbeit, ungefähr wie die Kutscherdienste, unter seinem Niveau. Also hatte er das Ganze als Wette getarnt und gesagt, dass er allen anderen davonsegeln würde, um sich dieses Vergnügen zu gönnen. Von Wettsegeln konnte jedoch nicht die Rede sein, da er die andere Arendal-Jacht bereits nach zwei Wenden abgehängt hatte. Aber eine Wette war eine Wette, und so segelte er zufrieden mit einem begeisterten Lehrling, der Trygve hieß und an den Mast gelehnt selig strahlte. Trygve sollte segeln lernen, um eines Tages diese Arbeit zu übernehmen, aber eigentlich war nicht vorgesehen, dass er von einem Ingenieur unterrichtet wurde.
    Das Schwere am Unterrichten war, sein Wissen in Worte zu fassen. Ruderführung und Handhabung der Schot geschahen automatisch, ohne dass er hätte erklären können, warum er was machte. Wenn er den Kurs änderte, um härter am Wind zu segeln, ging es natürlich schneller voran. Aber war ihm das in diesem Augenblick bewusst? Er segelte instinktiv und nicht anhand theoretischer Kenntnisse. Er musste an Johan Svenske denken, der noch nie einen Rechenschieber oder Theodoliten in der Hand gehalten hatte und trotzdem wusste, wie man eine Brücke baute oder Granit brach.
    Mit dem Boot wurden vorrangig schwere Güter transportiert, beispielsweise Werksteine aus den Steinbrüchen, Zement und Sand. Das bedeutete viel Ballast und ein langsames Vorankommen, insbesondere beim Kreuzen nach Haugastøl. Auf dem Rückweg mit leerem Boot und achterlichem Wind ging es dafür umso schneller. Ein schlechtes Gewissen, dass er seine Ingenieursarbeit vernachlässigte, brauchte er nicht zu haben. Das milde Frühjahr und
das beharrlich gute Sommerwetter hatten zur Folge, dass die drei Brücken, für die er verantwortlich war, einen Monat früher als berechnet fertig werden würden. Johan Svenske und sein Trupp konnten mit einem strahlenden Akkord rechnen und vor Anbruch der Wintersaison sogar noch eine weitere Arbeit unter freiem Himmel ausführen. Wohin und für welche Arbeit entlang der Bahnstrecke er selbst abkommandiert werden würde, wusste Lauritz nicht.
    Für Sankt Hans war eine Inspektion angekündigt. Oberingenieur Harald Skavlan würde sich in höchsteigener Person einfinden. Dann würde er wohl Bescheid erhalten. Bei Daniel Ellefsen sah es anders aus. Er arbeitete an den Einschnitten weiter westlich und würde mit dem ersten Schnee wieder zur Tunnelarbeit am Vikastøltunnel zurückkehren.
    Die

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