Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
ihm normalerweise nichts ausmachte. Etliche Swahili und Inder, die an ihm vorbeigingen, grinsten ihn breit an. Sie glaubten, dass Mzungi keine Hitze vertrugen. Das war Unsinn, genauso wie das Gerede von den faulen Afrikanern. Sich gegen Kälte zu schützen, besonders feuchte Kälte, war wesentlich schwieriger. Mit Wärme ließ sich viel leichter umgehen, man musste nur einen Hut aufsetzen und viel Wasser trinken.
Das Mittagessen würde vermutlich eine etwas ruhigere Wiederholung des Vorabends werden. Vielleicht bot man ihm ja eine Gehaltserhöhung an. Er durfte nicht vergessen, die Bedeutung von Dr. Ernsts fantastischen Erkenntnissen hervorzuheben. Die Löwenlegende war gestern, heute musste es um Dr. Ernst gehen.
Bevor er ins Gasthaus der Eisenbahngesellschaft zurückkehrte, war er mehrere Stunden lang planlos auf der großen Landzunge im Norden herumgestrolcht. Es war Ebbe, und die großen Dhaus lagen, wie zweimal im Laufe eines Tages, seitlich auf dem Trockenen. Ihr Rumpf erinnerte an eine riesige Walnuss und verhinderte, dass in der Seitenlage die Spanten brachen, selbst bei voller Ladung. Eine interessante, aber logische Art, das Problem der Gezeiten im Indischen Ozean zu lösen. In Westnorwegen hatte man einen anderen Weg beschritten, vielleicht hatten die Wikingerschiffe
deshalb so hoch im Wasser gelegen, als hätten sie einen flachen Rumpf.
Er bestellte beim Portier eine Dusche, ging in sein Zimmer hinauf, entledigte sich seiner Kleider und warf sie in den Wäschekorb. Am nächsten Morgen würden sie sauber und gebügelt vor seiner Tür hängen, genau wie im Busch. Ordnung musste sein.
Die Frage war, ob er seine deutsche Eisenbahneruniform oder einen weißen Leinenanzug anlegen sollte. Das war schwer zu entscheiden.
Es war Sonntag, und er war nicht im Dienst, sondern befand sich zu einem zehntägigen Urlaub in der Stadt. Das sprach für zivile Kleidung.
Andererseits legte der Eisenbahngeneraldirektor großen Wert auf Form und Akkuratesse, bis hin zu seinem buschigen roten Schnurrbart, bei dem jedes Haar an seinem Platz lag. Ob er seine Uniform je ablegte?
Doch. Er war protestantisch, sehr protestantisch. Am Sonntag würde er sie ausziehen. Oscar entschied sich für den Leinenanzug mit einer schwarzen Krawatte. Seine Erleichterung war groß, als er sich Punkt ein Uhr im Speisesaal erster Klasse im Clubhaus einfand und feststellte, dass Eisenbahngeneraldirektor Dorffnagel genauso gekleidet war wie er selbst.
Das Mahl wurde mit einem großen Glas Bier eingeläutet. Einige der ganz Frommen tranken am Ruhetag des Herrn keinen Alkohol, nicht einmal Bier. Das Christentum in Afrika zu verbreiten war eine der großen Aufgaben, einer der Gründe, warum sich das Deutsche Reich der humanistischen Aufgabe angenommen hatte, Afrika zu retten.
Oscar begann die Unterhaltung mit einem überschwänglichen,
ergebenen Dank für den großartigen Empfang am Vortag, obwohl sein bescheidener Einsatz am Msurifluss einen solchen Aufwand kaum rechtfertigen würde. Frau Schultze wäre stolz auf ihn gewesen.
Als das gesagt war, wies er seinen Gesprächspartner darauf hin, dass es eine viel wichtigere Neuigkeit aus Msuri gebe, die einstweilen aber vielleicht noch diskret behandelt werden sollte.
Sein höchster Chef brachte ihn mit einer raschen Handbewegung zum Schweigen.
»Ich danke Ihnen, dass Sie darauf hinweisen, Herr Diplomingenieur«, flüsterte er und beugte sich in einer Geste kollegialen Einvernehmens vor. Er machte eine Kunstpause und sah sich um. Es gab niemanden in Hörweite, die beiden saßen etwas abseits am besten Fenstertisch mit Meerblick. Sie hatten also eigentlich keinen Grund zu flüstern.
»Ich befürchtete schon, Sie könnten sich, bei allem Respekt für Ihren Einsatz, daran besteht schließlich kein Zweifel, nicht bewusst sein, was Sie in dieser Aktentasche mit sich führten. Doch nun beweisen Sie mir, dass Sie über Diskretion und Urteilsvermögen verfügen. Respekt!«
»Sie haben also den wissenschaftlichen Bericht von Dr. Ernst gelesen, Herr Generaldirektor?«, fragte Oscar, jetzt ebenfalls flüsternd.
»Ja. Die Neugierde übermannte mich, als ich gestern Nacht nach Hause kam. Unser sittenstrenger Freund Generalgouverneur Schnee hat das Fest ja gestern sehr früh beendet, vielleicht in der Hoffnung, dass wir heute zum Gottesdienst alle in guter Verfassung erscheinen. Übrigens habe ich Sie gar nicht gesehen. Haben Sie verschlafen?«
»Durchaus nicht, Herr Generaldirektor«, antwortete
Oscar und
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