Die Brückenbauer: Roman (German Edition)
beiden kamen inzwischen gut miteinander aus, da wäre es doch schade, wenn sie an unterschiedlichen Stellen eingesetzt würden und mit neuen Kollegen das Winterquartier teilen müssten.
Oberingenieur Skavlan und Abteilungsingenieur Olav Berner kamen, in eine Unterhaltung vertieft, ohne einen Schweißtropfen auf der Stirn oder im Geringsten erschöpft auf der Bahnhofsbaustelle in Haugastøl anspaziert. Skavlan war mit Stock und Rucksack im zwanzig Kilometer entfernten Voss aufgebrochen. Bei Hallingskeid hatte sich Berner zu ihm gesellt. Von dort aus hatten sie nur zwei Tage bis nach Haugastøl gebraucht.
Die beiden Chefingenieure befanden sich auf Inspektionsreise von Voss bis Geilo, gingen also die gesamte Baustelle ab. In Haugastøl hatten sie nichts zu beanstanden gehabt, der Bahnhof war mehr als halb fertig, die Wände standen, und der Dachstuhl wurde gerade aufgerichtet. Das Gebäude würde rechtzeitig vor Wintereinbruch fertig werden. Dort würden dann die neuen Ingenieure einquartiert werden. Daniel Ellefsens Arbeiten an den Einschnitten und dem Tunnel bei Vikastøl ließen nichts zu wünschen übrig, hatten die beiden Chefs konstatiert und waren unbeschwert Richtung Ustaoset weitergezogen, wo man Mittsommer feiern wollte. Aber vorher wollten sie noch die drei Brücken des neuen Ingenieurs Lauritzen inspizieren. Sie ließen Lauritz holen, der sein Segelboot nur widerwillig verließ, aber Befehl war Befehl.
Sie hatten ihn zu der ersten Brücke bestellt. Bereits aus der Entfernung sah Lauritz sie gestikulieren. Sie schienen sich nicht einig zu sein. Das verhieß nichts Gutes.
Als er sich zu ihnen gesellte, hatten sich die beiden Männer wieder beruhigt und begrüßten ihn höflich und förmlich. Sie sprachen ihn mit Herr Lauritzen an, was angestrengt klang. Dass die Ingenieure sich untereinander duzten, galt offenbar nicht für die höchsten Chefs. Andererseits war es auch ihre erste Begegnung. Lauritz hatte seinen Vertrag bei einem Abteilungsdirektor in Kristiania unterschrieben.
»Hier sind einige Veränderungen gegenüber den Originalzeichnungen erfolgt«, kam Skavlan nach der Begrüßung und nachdem sie der Sonne wegen ihre Hüte wieder aufgesetzt hatten, ohne Umschweife zur Sache.
»Ja, das ist vollkommen richtig«, antwortete Lauritz defensiv
und so zackig, als stünde einer seiner Dresdner Professoren vor ihm.
»Vielleicht können Sie uns ja erklären, was diese Veränderung veranlasst hat, Herr Lauritzen?«, sekundierte Berner.
Lauritz sah von einem zum anderen. Sie sahen sich erstaunlich ähnlich, beide in Tweed und mit Schlips, Wanderstiefeln und Stöcken, groß und schlank, ohne ein Gramm Fett auf den Rippen, graue Schnurrbärte, die borstig kurz geschnitten waren.
Er begann Zahlen aus dem Gedächtnis abzuspulen. Den Neigungswinkel, der eine horizontale Sprengung nötig gemacht hätte, um das westliche Brückenfundament zu verstärken. Die Extrakosten, die sich mit erheblich verbesserter Stabilität begründen ließen. Dazu trug er eine so überzeugte Miene wie möglich zur Schau. Anfänglich fiel ihm nicht auf, wie amüsiert die älteren Kollegen wirkten.
»Einige der Werksteine im unteren Teil sehen nicht aus wie auf der Zeichnung, wie erklären Sie das, Lauritzen?«, fragte Skavlan.
Diese Frage wiederum war schon nicht mehr so einfach mithilfe von Physik und Mathematik zu beantworten. Lügen kam aber auch nicht infrage.
»Das hat mit meinem eigensinnigen … eigensinnigen, aber sehr kompetenten Vormann zu tun«, erwiderte Lauritz vorsichtig.
»Sie beugen sich also Anweisungen eines Vormannes, Herr Lauritzen. Ist das nicht leichtsinnig?«, wollte Skavlan wissen.
»Nein, das finde ich nicht«, verteidigte sich Lauritz.
»Schließlich handelt es sich um eine Steinkonstruktion ohne Zement, alles muss genau zusammenpassen, wie auch immer man gerechnet haben mag. Wenn Stein drei im Verhältnis zur Zeichnung etwas zu groß ausfällt, muss Stein vier eben etwas kleiner ausfallen. Außerdem habe ich größtes Vertrauen zu diesem Vormann, ich finde ihn geradezu bewundernswert. Wir haben über jeden Stein gesprochen, ich war praktisch täglich hier.«
»Wie heißt der Vormann?«, fragte Skavlan kurz.
»Johan Svenske.«
»Ach so, das erklärt alles. Nun denn, dann können wir ja zu den anderen beiden Baustellen weiterwandern.«
Die beiden Chefs wandten ihm fast demonstrativ den Rücken zu und gingen, sich leise unterhaltend, voraus. Sie wollten ganz offensichtlich nicht, dass Lauritz ihnen
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