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Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Die Brückenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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hatten mit dem Bau der Gebäude begonnen, einer Kirche und einer Schule, etwa einen Kilometer von der Bahnlinie entfernt. Dort gab es einen Fluss, der nicht einmal im November austrocknete. Oscar hatte sie vor dem Fluss und insbesondere vor den Flusspferden, die nachts zum Grasen an Land kamen, gewarnt. Diese Gefahr wurde immer wieder unterschätzt. Alle Menschen nahmen sich vor Krokodilen in Acht, dabei stellten Flusspferde die viel größere Bedrohung dar. Deswegen lagerten Afrikaner nur sehr ungern nachts an einem Gewässer.
    Sie hatten die Jagd in den Morgenstunden hinter sich gebracht und fuhren mit der Lokomotive und ihrer Beute in der Mittagshitze zurück, in der sich die Landschaft in eine Traumwelt aus zitternden Luftspiegelungen verwandelte. Der Fahrtwind brachte kaum Kühlung, obwohl die Lok mit mutigen vierzig Stundenkilometern vorwärtsstrebte.
    Ihre Unterhaltung war eingeschlafen, und sie hatten Mühe, die Augen offen zu halten. Fast wären sie an dem
Akazienkreuz vorbeigefahren, aber Kadimba bemerkte etwas und hob die Hand, um dem Lokführer zu signalisieren, dass er anhalten sollte. Die Spuren über den Bahndamm sprachen eine deutliche Sprache. Eine große Menschenmenge war hier, vermutlich irgendwann am Morgen, vorbeigezogen.
    Kadimba ging vornübergebeugt hin und her und murmelte vor sich hin, während er die Spuren untersuchte. Oscar empfand ein zunehmendes Entsetzen, ohne recht zu begreifen, warum. Schließlich holte Kadimba tief Luft und begann zu erzählen, was er auf dem Bahndamm und in der trockenen, verbrannten Erde gelesen hatte.
    »Kinandi-Krieger«, sagte er in einem Tonfall, als sei damit der Umfang der Katastrophe umrissen. »Sie sind vor sechs Stunden in der Morgendämmerung hier vorbeigekommen, etwa hundert Mann, unmittelbar nachdem wir hier vorbeigefahren sind. Sie müssen uns gesehen oder zumindest gehört und dann gewartet haben, bis wir weg waren.«
    »Woher weißt du, dass es Krieger waren?«, fragte Oscar, ohne seine Unsicherheit verbergen zu können.
    »Sie sind gerannt. Außerdem waren es nur Männer, im Kriegeralter. Sie sind bewaffnet«, erklärte Kadimba.
    Erst stand alles still in Oscars Kopf. Vermutlich konnte er wegen der Hitze nur langsam denken. Dann wurde das Entsetzen, das er bereits empfunden hatte, größer.
    »Die Missionare?«, fragte er, und Kadimba nickte mit abgewandtem Blick fast unmerklich.
    »Warum fallen Krieger über ein armes, unbewaffnetes Missionarspaar her?«, fragte Oscar mit vor Verzweiflung brüchiger Stimme. Er wollte es eigentlich nicht wissen.
    »Kinandi-Krieger gehören zur Geisterwelt, ihre Männer besitzen magische Kräfte, Mzungi nennen sie Medizinmänner, Bwana Oscar. Sie hassen den Gott des weißen Mannes. Sie wollen ihre Stärke zeigen.«
    Verzweifelt rechnete Oscar nach. Die Kinandi-Krieger hatten fünf Stunden Vorsprung. Elise, Joseph, ihre kleine Tochter und die fünf weiblichen Angestellten wohnten nur einen Kilometer entfernt. Er musste sich zusammennehmen und die Situation wie auch sich selbst in den Griff bekommen.
    Er ging zum Bahnwaggon zurück, wo die vier Askari-Soldaten zwischen ausgeweideten Antilopen und Büffelkälbern schliefen. Er befahl dreien von ihnen, ihre Waffen schussbereit zu machen und ihm zu folgen, der vierte sollte den Lokomotivführer in der Lok mit seinem Leben verteidigen.
    Anfänglich gingen sie rasch, aber bald sah Oscar ein, dass sie das Tempo verringern mussten. Es war keine gute Idee, in der mörderischen Hitze so zu hetzen. Elise und Joseph lebten vielleicht noch, es war möglicherweise noch nicht alles verloren. Das letzte Stück des Weges mussten sie genauso leise wie auf der Jagd zurücklegen.
    Hundert Meter vor ihrem Ziel sah Oscar ein, dass das unnötig war. In den Baumwipfeln um Elises und Josephs Lager herum, wo einmal eine Missionsstation hätte entstehen sollen, um Licht im dunkelsten Afrika zu verbreiten, hatten sich bereits die Aasgeier niedergelassen. Oscar versuchte sich einzureden, dass nur die Ziegen der Missionare tot herumlagen, aber die Vernunft sprach schonungslos gegen eine solche Hoffnung.
    Trotzdem arbeiteten sie sich das letzte Stück mit schussbereiten
Gewehren zum Lager vor. Die einzigen Lebewesen waren jedoch die Geier, die schwerfällig von der Erde aufflogen und sich in den Baumkronen niederließen.
    Büsche umgaben die halb fertigen Häuser aus Lehmziegeln in einem weiten Kreis wie eine Boma. Durch eine große Öffnung in der natürlichen Barriere sahen sie schon von Weitem,

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