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Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Die Brückenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Meisterstück werden. Die Leistung würde etwa dem Abschlagen eines Medusenhaupts entsprechen.
    Vielleicht war das ein weit hergeholter Vergleich, vielleicht auch Hybris.
    Gott strafte Hybris, sein Gott aber nicht, zumindest nicht, wenn es die wahre Liebe war, die ihn antrieb. Oder? Debattierte er etwa gerade mit Gott?
    Gott konnte wohl kaum behaupten, dass er überheblich war. Gott musste einsehen, dass er sich dieser harten Prüfung seiner Ehre und seines Anstands wegen unterzog.
    Meist, wenn er mit Gott debattierte, dachte er nicht in Worten, weil er es vermessen fand, auszusprechen, wonach er sich am meisten sehnte. Und so dachte er auch jetzt in Bildern, als er in dem tiefer werdenden Schnee langsam bergauf stapfte. In der immer dünner werdenden Luft verschwammen die Bilder Ingeborgs und die Musik.
    Er saß am Ruder, Wind blies durch ihr blondes Haar, sie waren allein an Bord und endlich frei. Das Boot hieß Ran nach der Frau des Meeresgottes. Oder sollte er es als Zugeständnis an den Baron nach dem Wikingerschiff in der Frithjofssaga benennen? Auch an diesen Namen erinnerte er sich im Augenblick nicht.
    Der Anblick der Ran war so wirklich, dass ihm das Schiff eher wie eine Erinnerung vorkam als wie ein utopischer Wunschtraum. In diesem Augenblick war er sicher, dass er diesen Traum eines Tages leben würde.
    Als hätte Gott sein Gebet erhört und es mit einem Bild beantwortet. Verlor er gerade den Verstand?
    Er befand sich auf der Höhe und sah unten in Finse ein
schwaches Licht. Jetzt war es nicht mehr weit. Es war das Halbdunkel der Mittsommernacht. Vielleicht würde er heute Nacht endlich das Sternbild sehen, von dem Ingeborg in ihrem letzten Brief erzählt hatte. Sie habe es in Dresden mehrmals beobachtet. Dort waren die Sommernächte allerdings auch viel dunkler. Ihr Interesse an den Naturwissenschaften hatte teilweise etwas Aufgesetztes, als sei es eine Prinzipiensache, denn die Naturwissenschaften galten allgemein, insgeheim auch in Lauritz’ Augen, als Männerdomäne. Das männliche Gehirn eignete sich besser für Mathematik und somit auch für Ingenieurwissenschaften, Physik, Chemie und Medizin. Er geriet immer etwas in Verlegenheit, wenn sie solche Selbstverständlichkeiten infrage stellte.
    Zugleich war es aber auch das, was er am meisten an ihr liebte, neben allem anderen, was eine Frau anziehend machte, ihrem Duft, ihrer Attraktivität, ihrem Humor, dem, was man ihre weibliche Intelligenz nennen konnte, der Gabe, immer ein Gegenargument zu finden.
    Konnte man mit einer Frau wie Ingeborg, die man so reinen Herzens liebte, das tun, was man mit den Frauen im Bordell tat?
    Das war der verbotenste Gedanke, so schändlich, dass er ihn nie zu Ende gedacht hatte. Erst jetzt, in diesem eigentümlichen Zustand des Rausches, konnte so eine Frage wie eine hässlich nach Luft schnappende Brachse an die Oberfläche gelangen.
    Er setzte sich, aufgewühlt von seinen verbotenen Fantasien, auf einen Felsblock und sah auf den Hardangerjøkul hinunter. Sein Kopf schwirrte, er rang nach Luft.
    Sein einziger Zeuge war Gott. Niemand würde je erfahren, was er in diesem Moment dachte.
    Sie hatten sich dreimal physisch geliebt. Er hatte sich immer Mühe gegeben, vorsichtig und maßvoll zu sein und mit der Würde aufzutreten, die diese privateste aller Situationen erforderte. Es war jedes Mal ein himmelstürmendes Erlebnis gewesen. Ein Wunder, ein unmöglicher Traum, etwas, das nicht geschehen konnte und doch geschah.
    Nicht er hatte darauf gedrungen, er verachtete die Prahlerei seiner Kommilitonen über diese Dinge, er hatte im Gegenteil alles getan, um ihr zu beweisen, dass er sie tief, innigst und für alle Ewigkeit liebte und darüber hinaus mehr respektierte als jede andere Frau auf Erden.
    Wenn er sich selbst befleckte, eine Erniedrigung, der sich offenbar alle Männer hier oben hingaben, hatte er Bilder bestimmter Huren aus Dresden im Kopf, aber nie Bilder von ihr, das hätte ihre Liebe besudelt.
    Ihre engagierten Vorträge über die freie Liebe konnte er, jedenfalls auf einer theoretischen Ebene, mühelos akzeptieren. Frauen hatten das Recht, zu wählen, und folglich auch dasselbe Recht auf Liebe wie Männer. Die christliche Vorstellung der Sünde diente nur der Unterdrückung der Frau.
    Auch mit dieser Argumentation war er einverstanden, sie war logisch und demokratisch.
    Beim dritten Mal, als sie sich aus dem Sommerhaus, das Christas Familie südlich von Dresden besaß, hatten davonschleichen können, hatte sie

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