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Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Die Brückenbauer: Roman (German Edition)

Titel: Die Brückenbauer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Angreifer zu erschießen, die einen nach der eventuellen Gefangennahme foltern, einem womöglich das Herz herausreißen und dieses aufessen würden, war moralisch zu begründen.
    Kriegsgefangene zu ermorden war etwas anderes. Der weiße Mann war nach Afrika gekommen, um diesen Erdteil von der Barbarei zu befreien. Diese Bürde hatte er auf sich genommen. Die Weißen wollten Zivilisation, Recht und Ordnung, Moral und eventuell eine Religion, die weniger blutrünstig war, etablieren. Das war ihr heiliger Auftrag, auf diese Art sollte die Menschheit auf dem Weg zu einer besseren Welt voranschreiten.
    Also konnte man Kriegsgefangene nicht hinrichten. Das war barbarisch. Die Gerechtigkeit musste ihren Gang nehmen.
    Oscar zog sich in sein Zelt zurück, um zu überlegen, was getan werden musste. Auf dem Weg bat er seinen Diener Hassan Heinrich um einen starken Kaffee.
    Er öffnete seine Schreibschatulle und nahm Papier, Tinte und Feder heraus.

    Der Gottesdienst in der Frauenkirche in Daressalam zog sich in die Länge. Der Bischof hatte viel Gutes über Elise und Joseph Zeltmann zu sagen, über ihre heilige Berufung und ihr großes Opfer, über die Berufung aller, die Bedeutung der Anwesenheit aller im Dunkel, die mit unermüdlicher Energie Schritt für Schritt und mit Gottes Hilfe unwiederbringlich der Zivilisation in Afrika zu ihrem Recht verhalfen.
    Das alles war für Oscar nichts Neues. Er hatte gar nichts dagegen einzuwenden, im Prinzip war das auch seine Meinung. Das Ganze zog sich nur so in die Länge. Außerdem ärgerte es ihn, dass die fünf afrikanischen Frauen von der Missionsstation, die ebenfalls für die heilige Sache einen grauenvollen Märtyrertod gestorben waren, nicht dort vorn lagen.
    Vor dem Altar standen nur die zwei weißen Särge der Erwachsenen und der kleine Sarg mit den kläglichen Überresten ihres Töchterchens Roselinde.
    Da die Zeltmanns keine Verwandten in Daressalam hatten, fand nach der Beerdigung kein Empfang statt. Die Menge zerstreute sich. Oscar hatte die Anweisung erhalten,
sich zum Mittagessen bei Dorffnagel einzufinden, wie er mittlerweile seinen höchsten Chef ansprach, am üblichen Tisch im Deutschen Club.
    Er hatte sonst niemanden erwartet, aber Dorffnagel befand sich in Gesellschaft eines Offiziers, als Oscar auf die Minute pünktlich eintraf. Die anderen mussten früher gekommen sein. Die beiden Herren erhoben sich, als er an den Tisch trat. Dorffnagel stellte Oscar Oberst Paul von Lettow-Vorbeck vor, der mit seinem dünnen Schnurrbart und seiner schmächtigen Figur wenig stattlich wirkte.
    Oscar wartete damit, Platz zu nehmen, bis sein Chef mit der Hand auf einen Stuhl deutete. Die Sonne wurde vom Meer reflektiert und fiel grell in den Raum. Dorffnagel bemerkte das erst, nachdem sich Oscar gesetzt hatte, weil diesem die Sonne direkt ins Gesicht schien. Er signalisierte den Kellnern, Markisen aufzuhängen.
    »Herr Ingenieur! Wären Sie so freundlich, uns kurz, aber präzise zu berichten, was Sie gerade erlebt haben?«, forderte ihn der Oberst auf.
    Das hier ist keine Unterhaltung, sondern eine Vernehmung, dachte Oscar. Aber da Dorffnagel das Treffen anberaumt hatte, blieb ihm nichts anderes übrig, als mitzuspielen. Er sammelte sich ein paar Sekunden und dachte, dass sich die Geschichte, rein sachlich gesehen, recht einfach erzählen ließ, und hatte sie nach fünf Minuten dann auch beendet. Die beiden hohen Herren schwiegen nachdenklich, bis der Oberst das Wort ergriff.
    »Mein Kompliment, Herr Ingenieur, nicht nur für Ihren vorbildlichen Vortrag, sondern auch für das, was mir aus naheliegenden Gründen mehr am Herzen liegt: eine strategisch einwandfrei durchgeführte Operation. Ein einziger
kleiner taktischer Fehler, und Sie alle hätten Ihr Leben verloren. Ich gratuliere.«
    »Wirklich zu freundlich, Herr Oberst, ich habe nur getan, was die Umstände erforderten. Ich bin Techniker und kein Soldat«, antwortete Oscar unsicher, ohne es zu zeigen.
    »Ganz und gar nicht!«, brüllte der Offizier beinahe. »Sie sind ein Ingenieur mit einer einzigartigen Naturbegabung für taktische, militärische Planung. Sie haben uns einen unschätzbaren Dienst erwiesen. Wenn eine dieser Räuberbanden Erfolg hat, führt das zu einem Flächenbrand. Durch Ihr beherztes Eingreifen haben Sie möglicherweise einen Aufstand im Keim erstickt. Ich komme gerade aus Deutsch-Westafrika. Dort waren wir gezwungen, Zehntausende Aufrührer vom Herero-Stamm zu liquidieren, um die Ordnung wiederherzustellen.

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