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Die Brueder Karamasow

Die Brueder Karamasow

Titel: Die Brueder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodr Michailowitsch Dostojewski
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unverhoffte Heirat bekommt er als Mitgift seiner Frau ein kleines Kapital in die Hände. Er zeigt sich zunächst als Betrüger im kleinen und als schmeichlerischer Possenreißer mit einem Keim geistiger, übrigens nicht gerade schwacher Fähigkeiten; vor allem betätigt er sich als Wucherer. Mit den Jahren, das heißt mit dem Anwachsen seines Kapitals, wird er mutiger. Seine Selbsterniedrigung und Gunstbuhlerei verschwinden, und übrig bleibt der spöttische, boshafte Zyniker und Wüstling. Die geistige Seite ist vollständig getilgt; dagegen erfüllt ihn eine gewaltige Gier, das Leben zu genießen. Es läuft darauf hinaus, daß nur die sinnlichen Genüsse einen Wert für ihn haben: Das lehrt er auch seine Kinder. Von irgendwelchen geistigen Vaterpflichten weiß er nichts. Er lacht über sie, läßt seine kleinen Kinder auf dem Hof hinter dem Haus aufwachsen und ist froh, daß jemand sie ihm abnimmt. Er vergißt sie sogar. Die ganze Moral des alten Mannes besteht in dem Satz: Après moi le déluge! Er ist das reine Gegenteil dessen, was man unter einem Staatsbürger versteht, und sondert sich von der Gesellschaft völlig, ja sogar in feindlicher Weise ab: Mag die ganze Welt abbrennen, wenn es mir nur gut geht! Und es geht ihm gut, er ist vollkommen zufrieden, er möchte in dieser Art noch zwanzig, dreißig Jahre weiterleben. Er übervorteilt seinen leiblichen Sohn, und zwar um dessen eigenes Geld, die Hinterlassenschaft seiner Mutter, indem er ihm dieses Geld nicht herausgeben will. Er sucht ihm, seinem Sohn, die Geliebte abspenstig zu machen. O nein, ich will die Verteidigung des Angeklagten nicht ganz dem hochbegabten Verteidiger überlassen, der aus Petersburg hergekommen ist. Ich werde auch meinerseits die Wahrheit sagen; auch ich habe Verständnis dafür, welche Entrüstung über den Vater sich in dem Herzen des Sohnes angesammelt haben mußte. Doch genug von diesem unglücklichen alten Mann: Er hat seinen Lohn empfangen! Erinnern wir uns aber daran, daß das ein moderner Vater war. Tue ich der Gesellschaft Unrecht, wenn ich sage, daß er einer von vielen modernen Vätern war? Ach, die meisten Väter reden heutzutage nur nicht so zynisch wie dieser, weil sie besser erzogen und besser gebildet sind, während sie im Grunde fast dieselbe Philosophie haben wie er. Mag man mich einen Pessimisten nennen, meinetwegen! Wir sind schon übereingekommen, daß Sie mir verzeihen werden. Treffen wir im voraus folgende Verabredung: Sie brauchen mir nicht zu glauben! Ich werde reden, und Sie brauchen mir nicht zu glauben. Aber gestatten Sie dennoch, daß ich mich ausspreche; behalten Sie dennoch einiges von meinen Worten im Gedächtnis ... Da haben wir nun die Söhne dieses alten Mannes, dieses Familienvaters: Einer sitzt vor uns auf der Anklagebank; von ihm werde ich in meiner ganzen Rede zu sprechen haben; von den anderen will ich nur im Vorübergehen ein Wort sagen. Von diesen anderen ist der ältere ein moderner junger Mann mit glänzender Bildung und starkem Verstand. Aber er glaubt an nichts mehr: Vieles, sehr vieles im Leben hat er negiert und von sich gewiesen, fast wie sein Vater. Wir alle haben ihn reden hören, denn er hatte in unserer Gesellschaft freundliche Aufnahme gefunden. Er machte aus seinen Anschauungen kein Hehl, ganz im Gegenteil – und das gibt mir den Mut jetzt über ihn etwas offenherziger zu reden, natürlich nicht über ihn als Privatperson, sondern über ihn als Mitglied der Familie Karamasow. Hier, am äußersten Rand der Stadt, starb gestern durch Selbstmord ein kränklicher Idiot, der zu dem vorliegenden Prozeß in naher Beziehung stand: der frühere Diener Fjodor Pawlowitschs und vielleicht sein unehelicher Sohn, Smerdjakow. Er hat mir bei der Voruntersuchung unter Tränen erzählt, wie ihn dieser junge Karamasow, Iwan Fjodorowitsch, durch die Negierung aller moralischen Schranken entsetzt hatte. ›Alles auf der Welt,‹ sagte Smerdjakow, ›ist nach seiner Meinung erlaubt, und in Zukunft darf nichts mehr verboten sein, das hat er mich immer gelehrt.‹ Wie es scheint, hat der Idiot über dieser These, die ihm vorgetragen wurde, völlig den Verstand verloren, obwohl natürlich auch seine Epilepsie und die ganze furchtbare Katastrophe, die über dieses Haus hereingebrochen ist, zu seiner Geisteszerrüttung beigetragen haben dürften. Doch in den Reden dieses Idioten kam nebenbei eine sehr interessante Bemerkung vor, die sogar einem klügeren Beobachter als ihm Ehre gemacht hätte – und das ist

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