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Die Brueder Karamasow

Die Brueder Karamasow

Titel: Die Brueder Karamasow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodr Michailowitsch Dostojewski
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verbeugt, oder an die abstoßende Kehrseite der Medaille? Gewöhnlich liegt es im Leben so, daß man bei zwei einander widersprechenden Auffassungen die Wahrheit in der Mitte suchen muß; im vorliegenden Fall trifft das jedoch nicht buchstäblich zu. Das wahrscheinlichste ist, daß er bei der ersten Handlung in aller Aufrichtigkeit edelmütig und bei der zweiten ebenso in aller Aufrichtigkeit gemein war. Warum? Nun, eben darum, weil wir eine weitherzige Natur sind, eine Karamasowsche Natur, die imstande ist, alle möglichen Widersprüche zu vereinigen und zugleich beide Unendlichkeiten zu schauen, die Unendlichkeit über uns, die erhabene Region der höchsten Ideale, und die Unendlichkeit unter uns, den Abgrund der gemeinsten, schändlichsten Verderbtheit. Erinnern Sie sich an den glänzenden Gedanken, den vorhin Herr Rakitin aussprach, ein junger Beobachter, der die ganze Familie Karamasow aus nächster Nähe gründlich kennengelernt hat: ›Die Empfindung ihrer tiefen Verderbtheit ist diesen zügellosen, ungestümen Naturen ebenso ein Bedürfnis wie die Empfindung des höchsten Edelmutes!‹ Und das ist die Wahrheit: Sie bedürfen dieser unnatürlichen Mischung ständig und ununterbrochen. Zwei Unendlichkeiten, meine Herren, in ein und demselben Augenblick – ohne das fühlen wir uns unglücklich und unbefriedigt, und unser Dasein ist nicht erfüllt. Wir haben ein weites Herz, ein weites Herz, weit wie unser Mütterchen Rußland; darin können wir alles unterbringen, und wir vertragen uns mit allem! Beiläufig, meine Herren Geschworenen, wir berührten soeben diese dreitausend Rubel, und ich erlaube mir, ein wenig vorzugreifen. Bitte, stellen Sie sich vor, daß er, ein Mensch mit diesem Charakter, nachdem er dieses Geld empfangen hatte, und noch dazu in der beschämendsten, schmählichsten, unwürdigsten Weise – stellen Sie sich bitte vor, daß er es nach seiner eigenen Angabe gleich am selben Tag fertigbrachte, die Hälfte davon abzuzählen und in ein Säckchen zu nähen, und dann die Energie besaß, es einen ganzen Monat lang am Hals zu tragen, trotz aller Verlockungen und trotz seiner Geldnot! Nicht wenn er in den Wirtshäusern zechte, nicht als er eilig aus der Stadt wegfahren mußte, um bei Gott weiß wem Geld aufzutreiben, das er dringend benötigte, um seine Geliebte wegzuschaffen und so vor der Verlockung durch den Nebenbuhler, seinen Vater, zu bewahren – selbst da hat er nicht gewagt, dieses Säckchen anzurühren. Schon um seine Geliebte nicht länger den Versuchungen von seiten des alten Mannes auszusetzen, auf den er so eifersüchtig war, hätte er sein Säckchen öffnen und als beharrlicher Wächter seiner Geliebten zu Hause bleiben müssen, in Erwartung des Augenblicks, in dem sie endlich zu ihm sagen würde: ›Ich bin die deine‹, um sich dann schleunigst mit ihr davonzumachen, irgendwohin, möglichst weit weg von der jetzigen gefährlichen Umgebung. Aber nein, er rührt seinen Talisman nicht an, und aus welchem Grund? Der ursprüngliche Grund war, wie wir ausgeführt haben: Wenn sie zu ihm sagen würde: ›Ich bin die deine, führe mich, wohin du willst!‹, da wollte er die Mittel haben, sie fortzubringen. Aber dieser erste Grund verblaßte nach den eigenen Worten des Angeklagten vor einem zweiten. ›Solange ich dieses Geld bei mir trage‹, sagte er sich, ›bin ich zwar ein Schuft, aber kein Dieb, denn ich kann jederzeit zu meiner von mir beleidigten Braut gehen, diese Hälfte der von mir unterschlagenen Summe vor sie hinlegen und zu ihr sagen: ›Siehst du, ich habe die Hälfte deines Geldes verpraßt und dadurch gezeigt, daß ich ein schwacher, sittenloser Mensch und, wenn du willst, ein Schuft bin!‹ Ich drücke mich in der eigenen Sprache des Angeklagten aus. Aber obwohl ich ein Schuft bin, bin ich dennoch kein Dieb, denn wenn ich ein Dieb wäre, würde ich dir diese Hälfte des Geldes nicht zurückbringen, sondern mir auch sie aneignen wie die erste Hälfte!‹ Eine erstaunliche Erklärung der Tatsache! Dieser rasende, aber schwache Mensch, der der Versuchung nicht hatte widerstehen können, die dreitausend Rubel unter so schmählichen Umständen anzunehmen, dieser selbe Mensch fühlt plötzlich in sich eine so stoische Festigkeit und trägt Tausende von Rubeln an seinem Hals, ohne daß er sie zu berühren wagt! Stimmt das auch nur einigermaßen mit dem von uns geschilderten Charakter überein? Nein, und ich möchte mir erlauben, Ihnen zu erzählen, wie sich in einem solchen Fall der

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