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Die Brueder

Die Brueder

Titel: Die Brueder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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einer weiteren eifrigen Erklärung angesetzt hatte, erblickte Sverre einen Mann mit einem eleganten Anzug, Brille und Vollbart, der an den Künstlertisch getreten war und lachend die Karikaturen der Generäle betrachtete, die sich in Ermangelung gehorsamer Soldaten gegenseitig erschießen mussten. Der Mann stellte eine Frage, als er immer noch lachend das bekritzelte Stück Tischtuch beiseitelegte. Mehrere Finger deuteten gleichzeitig zu Sverre hinüber, und der Fremde, der irgendwie bekannt wirkte, steuerte sofort auf ihren Tisch zu.
    Es war Henri, den Roger erwartete, und nachdem dieser ihn seinen englischen Freunde vorgestellt und Henri Platz genommen und sich für seine etwas feierliche Kleidung mit Schlips, Jackett und Weste entschuldigt hatte, kam Roger erneut auf seine Idee des Omega Workshops zu sprechen. Bald musste er enttäuscht feststellen, dass sein Freund Henri keinerlei Begeisterung erkennen ließ. Er wandte ein, dass sich ein Künstler, der zu industrieller Fertigung übergehe, anpassen müsse und dadurch in eine Tretmühle gerate und daraufhin mit Sicherheit schlechter statt besser werde. Möglicherweise könne man sich auf die Produktion von Keramik verlegen, Pablo habe sich viele Gedanken dar­über gemacht, inwiefern keramische Gebrauchsgegenstände auch Kunstwerke sein könnten.
    Damit erklärte er dieses Thema für beendet, wandte sich an Sverre, lobte seine ausdrucksvollen Karikaturen und erkundigte sich, welchen Meister dieses Genres Sverre am meisten schätzte.
    Sverre erklärte verlegen, dass er sich für gewöhnlich nicht mit Karikaturen beschäftige, bei diesen Zeichnungen handele es sich um den Diskussionsbeitrag eines Norwegers, der sich wegen mangelnder Sprachkenntnisse nicht an der politischen Diskussion auf Französisch beteiligen könne.
    Sverres Verlegenheit steigerte sich, als Roger seinem französischen Freund erklärte, dass Sverre zweifellos einer der absolut besten und vielseitigsten Künstler sei, die das heutige England vorzuweisen habe.
    Das sei nun wirklich zu viel des Lobes, wandte Sverre ein. Er experimentiere gern, probiere neue Stile aus, sei auf der Suche nach sich selbst.
    »Kommen Sie zu mir und suchen Sie dort weiter. Wir sind eine Gruppe Suchender in einer alten Klosterkapelle am Boulevard des Invalides. Dort herrscht seit Jahren ein reges Kommen und Gehen, wir inspirieren und helfen ­einander gegenseitig. Vor einigen Jahren besuchten uns zwei hochbegabte Skandinavier. Ein junges Paar, Isaac und ­Sigrid, und jetzt hat sich ein Nils zu uns gesellt, kennen Sie diese Leute?«
    »Nein, ich wohne schon seit Längerem im Ausland, offen gestanden kenne ich keinen einzigen nordischen Künstler«, antwortete Sverre und blickte beschämt auf die Tischplatte.
    »Aha, verstehe«, sagte Henri. »Besuchen Sie trotzdem meinen Workshop und machen Sie mit. Nur eine kurze Frage aus reiner Neugier: Welche Maler der Gegenwart schätzen Sie am meisten?«
    »Es gibt so viele«, versuchte sich Sverre aus der Affäre zu ziehen.
    »Ich weiß. Nennen Sie mir trotzdem drei!«
    Sverre blieb nichts anderes übrig, als zu antworten.
    »Tja, wenn ich nur drei nennen soll … van Gogh, ­Cézanne und Sie selbst.«
    »Ausgezeichnet. Und warum wir drei?«
    »Weil Sie etwas sind, was ich noch nicht bin.«
    »Wieder eine ausgezeichnete Antwort! Willkommen am Boulevard des Invalides, wann immer Sie Zeit haben!«
    *
    Sie hatten ihre neuen französischen Anzüge angezogen und gingen am Rand des Bois de Boulogne spazieren. Die weißen englischen Leinenanzüge und die Panamahüte hatten sie in ihren Koffern im Grand Hôtel du Louvre verstaut. Sie wagten es nicht, jetzt in der Abenddämmerung in den enormen Stadtwald vorzudringen, da sie sich hatten sagen lassen, dass die Polizei im Bois de Boulogne Razzien veranstaltete und Männer wie sie aufgriff.
    Die untergehende Sonne veränderte das abendliche Licht, die Natur schuf ein Gemälde, mit dem sie alle Künstler übertraf. Aus der Ferne hörten sie eine Zieh­harmonika und begegneten vereinzelten Liebespaaren, überwiegend Mann und Frau. Albie und Sverre waren ausgeglichen und glücklich, da sie alle Krisen überwunden glaubten, sowohl ihre eigenen als auch die der Welt. Es bestand keinerlei Grund zur Besorgnis, weil Albie nach Manningham zurückkehren musste, um sich um die Geschäfte zu kümmern. Sverre würde allein in Henri Matisse’ Künstlerkollektiv zurückbleiben.
    Bereits nach wenigen Tagen erzählte Sverre begeistert, wie großartig die

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