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Die Brueder

Die Brueder

Titel: Die Brueder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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handwerklichen Zweiges die Armut in Tyssebotn und Umgebung ausmerzen und vielen Frauen ein besseres Leben bescheren würde. Ihre Mutter entwarf die Muster, alle Frauen auf der Osterøya konnten stricken. So konnte sie diese Gottesgabe nutzen, ihren Nächsten Gutes zu tun.
    Aus dieser Erkenntnis heraus hatte Sverre also die Schönheit seiner Mutter, die nicht nur ihren Sohn, sondern auch jeden Künstler faszinierte, mit keinem Wort erwähnt. Stattdessen erklärte er, seinem Bruder, der jetzt aus Deutschland heimkehre und dessen Ankunft er bedauerlicherweise nicht abzuwarten wage, ein von Liebe erfülltes Porträt seiner Mutter schenken zu wollen. Was könne Lauritz mehr erfreuen, jetzt, wo Ingeborgs Vater endlich in seine Hochzeit eingewilligt habe?
    Zum ersten Mal in seinem Leben sah er, wie seine Mutter die Fassung verlor. Ihr traten Tränen in die Augen, aber in ihrer Familie weinten Erwachsene nicht, am allerwenigsten sie.
    Wie besessen malte er an ihrem Porträt in Öl direkt auf Leinwand, ihre Kleider, natürlich die Nordhordlandtracht der älteren Generation mit grüner Weste und sechs sil­bernen Schnallen, die er mittels breiter Pinselstriche nur andeutete. Die Konzentration auf Details hob er sich für Gesicht und Hände auf.
    Ihre Pose hatte sie sich selbst ausgesucht. Sie saß auf einem von Sverre als Kind mit geschnitzten Drachenköpfen verzierten Lehnstuhl auf der Wiese vor dem Haus. Den Hintergrund bildete das Wikingerhaus, wie es nach seiner Fertigstellung aussehen würde. Schließlich hatte Sverre die Baupläne im Kopf.
    Während Sverre malte, hielt sich Margie mit ihrem Foto­apparat im Nachbarhaus auf und fertigte ein großes Familienbild an, auf dem Mutter Aagot mit ihren drei Töchtern, deren Männern und sämtlichen Enkeln zu sehen war. Dann schoss sie drei Familienfotos und schließlich je ein Porträt. Sie versprach, die Fotos aus England zu schicken, sobald die Abzüge fertig waren.
    Albie, der nichts zu lesen mitgenommen hatte, unternahm währenddessen lange Spaziergänge in der hügeligen Landschaft. Das Malen und Fotografieren nahm kostbare Zeit in Anspruch, was Albie nervös machte und verärgerte. Der Trollkönig Lauritz konnte jederzeit eintreffen.
    Sie entkamen jedoch rechtzeitig.
    »Es ist vollbracht«, scherzte Sverre, als sie zusammen auf dem Deck der Ole Bull standen, die gerade Richtung Bergen ablegte. In einem Brief an seine Mutter hatte Lauritz angekündigt, etwas Großartiges berichten zu wollen. Am nächsten Tag würde er in Frøynes eintreffen, wo auch ihn eine Überraschung erwartete, ein Porträt seiner Mutter, der Beweis dafür, dass ihn und seinen verachteten jüngsten Bruder zumindest die Liebe zu einem Menschen verband. Ob er diese Botschaft als Geste der Versöhnung verstehen würde, konnte man unmöglich wissen.
    »Well«, sagte Margie. »Der große Bruder ist reich, die Mutter ist relativ reich und noch dazu die Wohltäterin eines ganzen Dorfes in gutem, christlichem Geiste. Uns bleibt nur die Hölle, vermute ich.«
    »Ich würde gerne noch eine Dampferfahrt auf diesem berühmten Fjord unternehmen, wo wir schon einmal hier sind. Wie hieß er noch gleich?«, fragte Albie.
    »Sognefjord«, antwortete Sverre.

VI – Die weißen Knochen
    Britisch-Ostafrika, 1909–1910
    Es begann mit einem klassisch-lächerlichen, außerordentlich peinlichen Heiratsantrag. Albie hatte es natürlich nicht gewagt, sich jemand anderem als Sverre anzuvertrauen und selbstverständlich Margie. Die Bloomsbury-­Freunde hätten sich totgelacht, wenn sie davon erfahren hätten.
    Aber was hätte er tun sollen? Mit ihren 25 Jahren näherte sich Pennie der kritischen Grenze. Einzig eine Heirat würde ihr ermöglichen, Manningham zu verlassen und in die Welt zu ziehen. Streng genommen war es genau das, was von ihr verlangt wurde. Wenn sie sich jetzt mit dem dritt­ältesten Sohn begnügte, war das ganz allein ihre Sache.
    Der Freier war ein gewisser Galbraith Lowry Egerton Cole, der dritte Sohn des 4. Earl of Enniskillen, was besser klang, als es eigentlich war, denn wer hatte jemals von Enniskillen gehört?
    Aber das spielte keine Rolle. Schließlich ging das nur sie etwas an, und hätte sie einen Fabrikanten Smith angeschleppt, wäre das auch nicht besser gewesen, höchstens was das Haushaltsgeld betraf. Der junge Gentleman war natürlich arm, aber stolz, und als dritter Sohn nur auf dem Reserveposten. Die Aussichten, dass er jemals der 5. Earl von diesem obskuren Enniskillen werden würde, waren

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