Die Brueder
Ibsen. Er musste den Impuls unterdrücken, aufzustehen und zu sagen, jetzt kümmern wir uns nicht weiter um dieses Ritual aus dem 19. Jahrhundert, sondern gehen essen. Viel Glück übrigens! Aber er fühlte sich in dem Schauspiel gefangen.
»Euer Gnaden wissen, was Penelope und mich nach Manningham führt?«, fuhr der Freier fort.
»Natürlich, aber ich habe erst noch ein paar Fragen«, erwiderte Albie, wie von einer höheren Macht gezwungen, gegen seinen Instinkt zu handeln. Oder war es ganz im Gegenteil ein ererbter Instinkt, der ihn zwang, mit dem Ritual fortzufahren?
»Very well, Euer Gnaden«, antwortete der Freier und versuchte, einen Seufzer zu unterdrücken, weil er meinte, verstanden zu haben, dass jetzt über Finanzen gesprochen werden musste.
»Sie sind sich also zum ersten Mal vor zwei Jahren bei einem Ball des Prinzen von Wales begegnet?«
»Korrekt, Euer Gnaden.«
»Sie scheinen einen tiefen ersten Eindruck aufeinander gemacht zu haben?«
»Zweifellos.«
»Aber Sie können doch wohl kaum da schon den Entschluss zu diesem entscheidenden Schritt gefasst haben?«
»Nein, natürlich nicht.«
»Das bedeutet, dass Sie sich heimlich getroffen haben?«
»Wie bitte?«
»Sie haben mich gehört. Sie haben sich heimlich getroffen.«
»Das ist natürlich richtig, Euer Gnaden«, antwortete der Freier nach kurzer, intensiver Bedenkzeit.
Zu seinem eigenen Erstaunen konnte Albie der Situation plötzlich etwas abgewinnen. Er wusste ja, dass ein glückliches Ende bevorstand. Hier sah er sich also einem nur unbedeutend jüngeren Mann gegenüber, der in einem lebenswichtigen Augenblick die Wahrheit sagen musste. Es war nicht wie in Bloomsbury. Galbraith Lowry musste jetzt die Wahrheit klug und diplomatisch vorbringen.
»Und? Wie sind Sie vorgegangen? Und warum haben Sie sich nicht gleich an mich gewandt?«
Dem Freier brach der Schweiß aus. Er war ein wohlerzogener Gentleman, wusste sich zu beherrschen und weigerte sich, Unsicherheit oder Zögern erkennen zu lassen. Sehr interessant.
»Um mit Ihrer zweiten Frage zu beginnen, Euer Gnaden«, begann er nach kurzer Pause, »so waren meine finanziellen Verhältnisse unsicher, ich war im Begriff, nach Ostafrika auszuwandern, um dort ein neues Leben zu beginnen. Ich bin schließlich der drittälteste Sohn und …«
»Ja, ich weiß!«, unterbrach ihn Albie. »Und weiter?«
»Kurz gesagt: Ich musste warten, bis ich etwas zu bieten hatte.«
»Und das ist jetzt der Fall?«
»Ich besitze eine Farm in Afrika.«
»Ich verstehe. Zurück zur ersten Frage. Wie haben Sie Ihre Rendezvous während der langen Wartezeit organisiert?«
Das war nicht nur eine wenig zartfühlende, sondern geradezu taktlose Frage. Wie würde sich der Freier nur aus dieser Klemme befreien? Er konnte schließlich nicht wissen, dass ihm die Einwilligung gewiss war und dass die Vorbereitungen für das Festmahl in der neuen, modernen Küche bereits in vollem Gange waren. Er konnte natürlich antworten, dass sei seine private Angelegenheit, das gehe niemanden etwas an. Die Antwort würde trotzdem positiv ausfallen. Es war wirklich spannend!
»Well, Euer Gnaden, wollen Sie das wirklich wissen?«
»Ja, heimliche Rendezvous faszinieren mich. Wie haben Sie es angestellt?«
»Ihre Großmutter und Ihre Mutter reisen regelmäßig an die Riviera. Pennie hat mir Zeitpunkt und Ort genannt. In der Regel steigen sie im Hotel Negresco in Nizza ab. Ich quartierte mich ebenfalls dort ein. Nach einigen Treffen in der Abenddämmerung stand fest, dass wir uns eines Tages in der momentanen Lage befinden würden.«
Albie war verblüfft. Die Antwort gefiel ihm sehr. Sie war mutig und ehrlich.
»Ich habe eine Überraschung, Gal. Ich darf dich doch so nennen?«
»Natürlich, Euer Gnaden.«
»Nun denn, ich möchte dich bitten, mich von nun an Albie zu nennen. Das Verlobungsdinner wird um sieben Uhr serviert. Angemessene Kleidung. Die Familie wird versammelt sein, einige sind bereits eingetroffen, andere sind noch unterwegs. Ich bewundere deinen Mut und deine Ehrlichkeit und heiße dich in der Familie willkommen.«
*
Ab dem zweiten Reisetag wurde es beschwerlich. Im Golf von Biskaya geriet die City of Winchester in einen schweren Sturm. Der Erste Offizier behauptete zwar, so schlechtes Wetter sei im Juni eigentlich ungewöhnlich, was für die Passagiere aber nur ein schwacher Trost war.
Sverre hatte einige Stunden alle Hände voll damit zu tun, Albie und Margie in ihrer gemeinsamen Kabine beizustehen.
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