Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie
über die Mauer nach draußen. Es war höchste Zeit, dass Sie gekommen sind.«
»Warum?«
Maria wendet sich um und sieht in die Richtung, in die Kano zeigt. Gegenüber, auf den Rängen im Süden, bahnt sich ein Dutzend Obdachlose rücksichtslos einen Weg. Weiter unten, auf dem Rasen, zwängt sich ein weiteres Dutzend Obdachlose durch die Menge. Einer von ihnen bleibt in der Mitte des Stadions stehen, er hat die Augen geschlossen, als ob er eine Witterung aufnehmen wollte.
»Der sucht Sie.«
Gerade, als Maria antworten will, öffnet der Mann die
Augen wieder und sieht über die Menge hinweg zu ihr her. Dann wendet er sich seinen Gefolgsleuten zu und weist mit dem Arm dorthin, wo sie steht. Sie nimmt ihr Funkgerät zur Hand und ruft den Feldwebel.
Ein Knistern und Rauschen. Die Stimme des Mannes dröhnt laut inmitten der Geräusche um sie herum. Er ist wütend.
»Was treiben Sie da, zum Kuckuck! Das Gedränge hier wird immer dichter.«
»Obdachlose kommen näher.«
»Wo?«
»Ihnen genau gegenüber. Die Gefahr geht von ihnen aus.«
»Gefahr ist mein Job. Sehen Sie zu, dass Sie sich wieder zu uns durchschlagen.«
Maria dreht sich zu Elikan um, der gerade von oben heruntergestiegen kommt. Seine Hände und Unterarme sind voller Blut. Sie seufzt. »Hört mal, Leute, ihr könnt hier nicht einen nach dem anderen abmurksen. Wir sind in den Vereinigten Staaten und nicht in Narnia.«
Elikan senkt den Kopf, murrt. Maria merkt, wie sich die Düfte eines ganzen Blumenstraußes in ihrem Kopf ausbreiten. Laub und ein Bachlauf. Das Mädchen hat die Augen geöffnet und sieht sie jetzt an. Maria kniet neben ihr nieder und streicht ihr über den Scheitel.
»Bist du die Kleine, die in meine Träume eindringt und dafür sorgt, dass ich quer durch die halben Vereinigten Staaten fahre, als ob mein Auto ferngesteuert wäre?«
Holly nickt. Maria lächelt.
»Ich heiße Maria, Maria Parks.«
»Ich weiß.«
»Natürlich.«
Hollys Blick wird trüb. Sie streckt Maria die Hände entgegen, umschlingt ihren Hals und gleitet langsam von
den Knien des Elfen in ihre Arme. Als Holly Cyals Umhang verlassen hat, erfasst diesen ein Anflug von Eifersucht. Maria spürt, wie sich Arme und Beine des Mädchens um ihren Leib legen. Das Kind zittert, ist am Ende seiner Kräfte. Mit gebrochener Stimme jammert es: »Mama. Ich will zu meiner Mama.«
Maria merkt, wie ihr die Tränen in die Augen steigen. Sie wiegt Holly sacht und streicht ihr über die Haare.
»Ich bin jetzt da, mein Schätzchen. Ich bin da.«
TEIL ACHT
DIE HÜTER DER FLÜSSE
1
Ein Regenschwall und ein Wirbel von welkem Laub kommen durch die Glastüren des Pflegeheims von Parchman herein. Der Nachtpförtner hebt den Blick von dem Pornoheft, das er zur Tarnung in eine Zeitschrift gelegt hat, und sieht Walls an. Er denkt an seine Verflossene, die ihn vor einem halben Jahr hat sitzen lassen. Die Vorstellung, dass sie jetzt in den Armen eines anderen liegt, macht ihn rasend. Walls empfängt die Gedanken, die sich im Kopf des Mannes drängen, und merkt, dass er Alkoholiker ist. Er erwägt eine Entziehungskur, aber noch nicht gleich. Er befindet sich in dem Stadium, in dem das morgendliche Glas Schnaps das über Nacht eingetretene Zittern beruhigt. Außerdem hat er Kehlkopfkrebs, weiß es aber noch nicht.
Während Walls auf die Pforte zugeht, vertieft sich der Mann wieder in seine Lektüre. Ein Pfleger sieht sich auf einem tragbaren Fernseher ein Baseball-Spiel an, ohne auf die Lichter zu achten, die auf der Anzeigetafel hinter ihm blinken, weil Heimbewohner die Ruftaste gedrückt haben. Er heißt Glen. Er ist begeisterter Angler, hat eine Vorliebe für schwere Geländewagen und masturbiert regelmäßig vor den Bildern von Frauen in Badeanzügen, die er in Versandhauskatalogen findet. Walls räuspert sich. Der Mann hebt den Blick.
»Sie wünschen?«
»Ich bin Inspektor von Medicaid.«
»Ach, die Pennerversicherung? Da kommen Sie genau richtig: Von denen haben wir hier’nen ganzen Haufen.«
Unruhig rutscht der Pfleger auf seinem Stuhl hin und her. Der Blick des Besuchers gefällt ihm überhaupt nicht.
»Falls es sich um eine Kontrolle durch die Versicherung der Bundesstaaten handelt, müssen Sie morgen wiederkommen. Verlangen Sie Dr. Colman. Er ist der Chef von diesem Luxushotel.«
»Bei Ihnen lebt ein Chester Walls.«
»Ach, Sie meinen Methusalem? Das ist ein sonderbarer Heiliger! Er ist irrsinnig alt und seit zwanzig Jahren klinisch tot. Hier ist schon ein paar Mal der
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