Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie
dieselbe Seite seines Pornohefts liest, bedenkt er mit einem kalten Lächeln. Der Pfleger Glen starrt auf seinen tragbaren Fernseher. Obwohl die von Walls ausgesandten Impulse dessen Antenne zerstört haben, nimmt Glen den Blick nicht vom Bildschirm, auf dem nichts als grauer Griesel zu sehen ist. Ash ballt die Hände zu Fäusten, als er den leeren Blick des Mannes wahrnimmt. Er hat im Gehirn des Pflegers Reste von Gedanken aufgespürt, Wortfetzen und Bruchstücke von Erinnerungen. Walls hat ihn an den äußersten Rand getrieben. In Glens Kopf muss es zugehen wie in einem fest verschlossenen Dampfkochtopf, den man auf der eingeschalteten Herdplatte hat stehen lassen. Vermutlich spielen seine Neuronen schon seit Stunden verrückt. Eine ausgesuchte Folter, ein Hinweis darauf, wie gefährlich Walls geworden ist.
Ash wagt sich in die zerstörten Gehirnstrukturen des Mannes vor. Mit einem solchen Gehirn Verbindung aufzunehmen, ist immer äußerst gefahrvoll. Er sucht in den Erinnerungen des Pflegers. Infusionen, Sterbende, Bettunterlagen voll Urin, Fotos von Frauen im Badeanzug, Krämpfe. Das Gesicht von Walls: verformte Züge, durch die in Mitleidenschaft gezogenen Neuronen schlecht wiedergegeben. Walls beugt sich vor und fragt etwas. Im Mund des Pflegers breitet sich der Geschmack nach Blut aus. Walls dringt in ihn ein, ist wütend. Sonst nichts.
Nachdem Ash den Rückprall neutralisiert hat, der im Begriff stand, sich in seinen eigenen Neuronen auszubreiten,
sieht er die große Vene unter dem Schädeldach des Pflegers. Er konzentriert sich. Die Vene schwillt an. Ein leises Geräusch, Feuchtigkeit. Die Augäpfel des Pflegers röten sich, während das Blut sein Gehirn überschwemmt. Auf seinen Zügen liegt ein sonderbares Lächeln, bevor er in sich zusammensinkt, als wolle er Ash danken.
Im zweiten Stock geht Ash im Licht der Notbeleuchtung an den Türen entlang. Er nimmt die Gedanken der Menschen in sich auf, die dahinter liegen. So viel Leiden, so viel Angst, so viel Trauer. Eine Fülle von Erinnerungen. Alte Geschöpfe, die nicht zu sterben vermögen. Wie Algen.
Zimmer 27. Ash stößt die Tür auf und saugt die Luft ein. Das Bett ist zerwühlt, die Infusionskanüle liegt auf dem Kopfkissen, auf dem sich ein nasser Fleck ausgebreitet hat. Während Ash in Gedanken dessen Größe mit der eingestellten Tropfgeschwindigkeit vergleicht, muss er lächeln: Der Vorsprung von Walls ist geringer, als er befürchtet hatte. Ein Luftzug wirbelt Reste von Geschenkpapier über den Boden. Ash legt die Hand auf die Klinke des Notausgangs und öffnet die Tür. Der frische Wind und der peitschende Regen treffen auf sein Gesicht. Er geht die Betonrampe hinab und bleibt mitten auf dem Parkplatz stehen. Hier verliert sich die Spur der beiden. Der Mitarbeiter der Stiftung konzentriert sich darauf, das Taxi einzufangen, mit dem Walls und der Alte davongefahren sind. Blitze zucken in seinem Kopf auf. Regen, der eine Windschutzscheibe peitscht. Das Hin und Her von Scheibenwischern. Ein mit Klebeband neben dem Autoradio befestigter Zettel gibt die Nummer des Taxis und den Namen des Fahrers an: Shelby Newton. Das Lichtbündel der Scheinwerfer fährt flüchtig über einen Wegweiser: Carthage, 3 miles .
Ash öffnet die Augen wieder und schickt eine telepathische Botschaft an die Gestalten in dunklen Mänteln, die aus dem Dunst auftauchen. Er teilt ihnen mit, dass die
Kleine das Hauptziel ist und um jeden Preis vernichtet werden muss. Die Männer schwingen sich auf ihre schweren Motorräder und verschwinden in der Nacht. Ash nimmt auf dem Rücksitz seines Wagens Platz und nennt dem Fahrer Carthage als Ziel. Ein Blick auf seine Armbanduhr zeigt ihm: dreißig Stunden, bis die Verseuchung einsetzt.
8
Eine frische Brise, die den Geschmack von Salz mit sich bringt. Maria steht auf der Hängebrücke und nimmt die Gerüche der Stadt San Francisco in sich auf. Hinter ihr bilden Hunderte von Autos einen gewaltigen Stau. Abgesehen vom Wind, der in den Stahlseilen pfeift, hört man nicht das geringste Geräusch. Sie betritt den Skyway , der in sanfter Neigung zur Stadt hinab führt, hört den Hall ihrer Schritte in der Stille. Nichts regt sich, so weit ihr Auge reicht. Über eine Kreuzung geht ihr Blick in Richtung auf das Geschäftsviertel. Am äußersten Ende ragt der blaue Block des Apple-Megastore auf. Hinter den riesigen Fenstern im ersten Stock sind zahlreiche Menschen tot über ihrer Rechnertastatur zusammengebrochen. Dutzende weitere liegen auf
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