Die Brut hinter der Mauer
machte. Wenn Bill Conolly seinen Freund John alarmierte, um mit ihm zu einem bestimmten Ziel zu fahren, hatte das seinen Grund. Aus reinem Spaß am Autofahren taten sie so etwas nicht.
Da Sheila die Hausherrin war, ließ Suko sie auch vorgehen. Das Zimmer war abgedunkelt. Vor der Fensterscheibe hingen die fast geschlossenen Lamellen des Rollos.
Beide mußten sich erst an die Verhältnisse gewöhnen und sahen vor dem Bett des Jungen den Schatten, der sich auf dem Boden ausgebreitet hatte.
Nadine hob den Kopf, als Suko kam. Sie kannte ihn, aber sie kam nicht, um ihn zu begrüßen, wie sie es sonst immer getan hatte, wenn Suko zu Besuch war.
Sheila sprach ihn darauf an, und der Inspektor nickte. »Das ist in der Tat ungewöhnlich.«
»Meine ich auch.«
»Und du meinst, daß es mit Bills Reise zu seinem Sohn zusammenhängt?«
»Ich weiß es nicht genau. Jedenfalls ist Nadine für mich ein Anzeiger für Stimmungen und Strömungen. Wenn sie in diese Apathie fällt, ist etwas nicht in Ordnung.«
»Meinst du wirklich, daß es eine Apathie ist?«
»Was sonst?«
»Ich kann es dir nicht genau sagen.« Suko setzte sich neben die Wölfin auf einen Korbstuhl. »Ich habe eher den Eindruck, als wäre sie sehr wachsam. Das Funkeln ihrer Augen kommt mir jedenfalls so vor. Du kannst mich auslachen, aber ich sehe es so.«
»Kann es dann auch sein, daß sie versucht, Kontakt mit Johnny aufzunehmen? Auf dem Weg der Telepathie, zum Beispiel.«
»Du prescht aber weit vor.«
»Zu weit?«
Sheila schüttelte den Kopf. »Nein, Suko, denn daran habe ich selbst gedacht. Ich könnte heulen, weißt du. Wenn Nadine sich wenigstens verständlich machen, wenn sie reden könnte. Dabei steckt in ihr der Geist eines Menschen.«
»Stimmt schon, aber nicht dessen Stimme.«
»Das ist unser Problem.«
Suko wußte ebenfalls nicht, was er noch sagen sollte. Er fühlte sich immer unwohler in seiner Haut. Da saß er nun zusammen mit Sheila und starrte die Wölfin an, als wäre sie ein Orakel, das sich ihnen in den nächsten Minuten offenbaren würde. Nur tat sie das nicht. Nadine blieb ruhig und gleichzeitig wachsam liegen. Suko konzentrierte sich dabei auf ihre Augen. Bei normalen Wölfen fand man Raubtieraugen, nicht bei Nadine. Dieses Tier besaß menschliche, und es sah Suko mit einem beinahe traurigen Blick an, als wüßte es mehr als die beiden Menschen vor ihr.
»Ich komm' da nicht mehr mit zurecht«, flüsterte Sheila. »Es ist irgendwie alles durcheinander.«
»Das stimmt.«
Sheila ging in die Knie. Es sah so aus, als wollte sie Nadine ansprechen, doch die Wölfin reagierte vorher, denn sie stand plötzlich auf, wobei sich gleichzeitig bei ihr das Fell sträubte, sie das Maul öffnete und ein Knurren hervordrang. Die Frau zuckte zurück. »Suko, das hat etwas zu bedeuten, glaub mir. Sie knurrt nicht grundlos.«
»Möglich.«
»Aber was, zum Teufel? Es hängt mit Johnny zusammen, das spüre ich genau.«
Nadine nahm von den beiden Menschen keine Notiz. Unruhig begann sie eine Wanderung durch das Zimmer, ließ auch das Bett nicht aus und sprang hinauf. Dort blieb sie hocken, als wollte sie die Liegestatt verteidigen. Sie bewegte den Kopf, die Zunge schlug aus dem Maul. Sie schaute hoch zur Decke, dann drang ein Laut der Klage aus ihrem Maul, der Sheila und Suko Schauer der Angst über den Rücken trieb. Der Ton verwehte nur allmählich, und erhörte sich auch kurz vor Schluß noch so schlimm und deprimierend an.
»Sie will es!« flüsterte Sheila. »Sie will es, aber sie schafft es nicht. Mein Gott, was ist das nur? Was ist mit unserem Jungen geschehen, Suko? Was?«
Er stand da und hob die Schultern.
Nadine wälzte sich auf den Rücken. Hatte sie Furcht, war sie traurig, weil sie nichts tun konnte?
»Mir kommt es vor, als hätte sie einen Hilfeschrei empfangen«, hauchte Sheila.
Suko sagte nichts.
Sheila hielt es nicht aus. Sie ging vor bis, zum Bett und streckte den Arm aus.
Mit der rechten Hand wühlte sie das Fell der Wölfin durch und zuckte schon beim ersten Kontakt zurück, denn so etwas hatte sie noch nie erlebt.
»Was ist denn?«
Sheila starrte Suko an. Die Augen ebenso geöffnet wie den Mund. Das
»… das ist unwahrscheinlich, Suko. Die Wölfin, das Fell… es… es ist kalt wie Eis.«
»Nein.«
»Doch. Leg deine Hand drauf und…«
Das tat Suko nicht mehr, und auch Sheila wurde abgelenkt, denn plötzlich entstand über dem Körper ein heller Schatten. Eine Aura, ein Geist, der die Umrisse eines Frauenkörpers
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