Die Brut
Nachricht.«
Sebastian stieß ein höhnisches Lachen aus. »Unser Kind ist in den Händen eines Irren, der behauptet, dass es seins wäre. Sehr beruhigend!«
»Wir haben jetzt zum ersten Mal einen Anhaltspunkt, in welche Richtung wir ermitteln müssen. Im Augenblick können wir die Suche nach Erpressern oder Sexualstraftätern zurückstellen. Ab sofort konzentrieren wir uns auf Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch.«
»Die Mutter mit dem leeren Kinderwagen?«
Der Kommissar ließ sich von Sebastians Sarkasmus nicht aus der Ruhe bringen. »Wir sollten gemeinsam überlegen, ob es in Ihrem Umfeld, auch im weiteren, eine Frau gibt, die in Frage kommen könnte. Frau Simon?«
Tessa schaute den Kommissar an, als habe sie kein Wort von dem, was er gesagt hatte, verstanden. »Sie glauben, dass es Victor gut geht?«
»Ja. Das können wir im Augenblick annehmen.«
»Woher wollen Sie das wissen?« Ihre Bewegungen wurden lebhafter. »Woher wollen Sie wissen, dass der Mensch, der diesen Brief geschrieben hat, nicht krank ist? Wer sagt Ihnen, dass er Victor in Wahrheit nicht quält?«
»Dafür gibt es bis jetzt keinerlei Indizien.«
»Wer sagt Ihnen, dass es kein –« sie suchte nach dem passenden Wort und fand es nicht, »dass es kein böser Mensch ist, der diesen Brief geschrieben hat?«
»Der Brief klingt doch eher, als ob ihn eine Person mit übertriebenem Fürsorgeinstinkt geschrieben hätte.«
Tessa raufte sich die Haare, als wisse sie nicht, wie sie es noch formulieren sollte, damit der Kommissar ihren Punkt verstand.
Irgendein Handy im Raum verkündete die Ankunft einer SMS.
»Wir haben ganz zu Anfang schon einmal darüber gesprochen«, sagte Arndt Kramer. »Fällt Ihnen eine Frau ein, die Ihnen Victor neiden könnte?«
Tessa schaute zu Sebastian. Er war damit beschäftigt, eine Nachricht auf seinem Handy zu lesen. Offensichtlich war es keine gute Nachricht, denn er schloss kurz die Augen, seine Lippen formten einen stummen Fluch.
»Jemand, der in Ihrem Sender oder in Ihrer Redaktion arbeitet?«, fragte der Kommissar weiter. »Jemand, der auffälliges Interesse an Victor gezeigt hat. Jemand, der zur Geburt Geschenke gemacht hat, von dem Sie das nicht erwartet hätten. Der angeboten hat zu babysitten. Kabelträgerinnen, Praktikantinnen, Putzfrauen, ich weiß ja nicht, wer so alles in einem Sender arbeitet.«
Sebastian hatte während der letzten Sätze des Kommissars begonnen auf- und abzuwandern. Die Ader an seiner Schläfe trat deutlich hervor. »Ich muss telefonieren«, sagte er plötzlich. »Es wäre mir lieb, wenn Ihre Leute nicht zuhören würden.«
Kommissar Kramer hob die Augenbrauen. »Wenn Sie einen Verdacht haben, sollten Sie mit uns darüber reden.«
»Ich habe keinen Verdacht«, anwortete Sebastian harsch. »Ich will einfach nur ein privates Telefongespräch führen. Ist das zu viel verlangt!«
»Kein Problem. Bitte.«
»Danke.« Es war das unfreundlichste
Danke
, das Tessa jemals gehört hatte.
Mit schnellen Schritten verschwand Sebastian im Flur. Es musste wirklich etwas dringend Unerfreuliches in der SMS gestanden haben, wenn er sie mitten in einem so wichtigen Gespräch sitzen ließ.
»Frau Simon?«
Tessa riss sich vom Anblick der geschlossenen Flurtür los. »Entschuldigung. Mir ist nicht gut.«
Sie stand auf und ging in das Gästebad. Die Wand zum Kinderzimmer war so dünn wie alle Wände, die in diesem Loft nachträglich eingezogen worden waren. Langsam legte sich ihr Kopf an die Wand. Sebastian sprach leise und schnell. Tessa hielt sich das freie Ohr zu. Der Hahn am Waschbecken tropfte. Sie hatte Mara Stein im Verdacht, ihn nicht richtig zuzudrehen. Auf dem weißen Keramik ringelten sich ein paar mittellange dunkle Haare. Am Boden stand eine billige Flasche Shampoo, die Tessa nie benutzen würde.
»Bleib, wo du bist, in einer halben Stunde bin ich da«, sagte die Wand. »Wir kriegen das hin. Egal, was du getan hast. Ich verspreche dir, wir kriegen das hin.«
Sie hatte es gewusst. Die ganze Zeit. Die Zigarette brannte schnell herunter, jeder Zug ein Zentimeter Glut. Welchen Unsinn ihre Schwester jetzt wieder angestellt hatte? Wahrscheinlich hatte sie sich beim Koksen erwischen lassen. Und Sebastian angefleht, dass er sie aus der Scheiße rausholte. Ausgerechnet jetzt. Diese Rücksichtslosigkeit. Es würde sie nicht wundern, wenn Sebastian nachher Curt dabeihatte.
Tessa schaute auf die Toreinfahrt, durch die vor über einer Stunde das Taxi mit Sebastian verschwunden war. Sie hatte
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