Die Brut
nicht, ob Hodgkin wirklich tödlich ist.«
»Das ist doch gar nicht der Punkt.«
»Was ist denn dann der Punkt?« Attila hatte den linken Arm quer vor den Körper gewinkelt, sodass er den rechten Ellbogen aufstützen und den Zeigefinger an die Wange legen konnte. Tessa kannte diese Angriffshaltung. Sie hoffte, dass Sebastian nicht sagen würde, was er gleich sagte.
»Das ist doch billigster –« Mitten im Satz brach er ab. »Ach was. Lasst uns feiern.«
Drei Stunden und zwei Champagnerflaschen später hatte Sebastian den Streit vergessen. Er tanzte mit Tesssa wild über die immer noch dicht bevölkerte Tanzfläche.
The winner takes it all
The loser standing small
Beside the victory
That’s her destiny …
»Meinst du nicht, dass du dich überanstrengst?«, rief er ihr ins Ohr, als sich ihre erhitzten Gesichter das nächste Mal begegneten.
»Tanzen ist gut fürs Kind«, rief Tessa atemlos zurück.
Sie liebte diesen Song. Sollte es im Text um die Niederlage gehen, die Musik gehörte eindeutig dem Gewinner. Trotzdem merkte sie irgendwann, wie sich die heißen Ameisenströme in ihren Armen und Beinen langsam in Blei verwandelte.
Die kalte klare Januarluft vor dem Studio traf sie, als hätte ihr jemand einen nassen Waschlappen ins Gesicht geschlagen. Sie hatte extra ihren dicksten Wintermantel angezogen, bei dem sie allerdings die beiden unteren Knöpfe auflassen musste. Sebastian warf ihr seinen Mantel über die Schultern, als er ihr Zittern sah.
»Wo ist der verdammte Fahrer? Die haben gesagt, der wartet, egal, wie spät es wird.«
»Der kommt bestimmt gleich. Ich liebe dich.« Er drückte sie fest an sich und küsste sie.
»Entschuldigung?«
Eine schüchterne Frauenstimme ließ sie sich aus der Umarmung lösen.
Eine blonde Frau in einem viel zu dünnen, dreiviertellangen roten Mantel stand einige Meter von ihnen entfernt.
»Ja?« Tessa schlug ihren Mantelkragen hoch.
»Wenn Sie das nicht zu aufdringlich finden, könnten Sie mir wohl ein Autogramm geben? Und ein Foto würde ich gern machen. Von Ihnen und mir.«
Wie um die Ernsthaftigkeit ihres Ansinnens zu unterstreichen, hielt die Frau eine Kamera und ein dickes Album mit einem angesteckten Filzstift hoch. Ihre handschuhlosen Hände waren blau gefroren.
»Um Gottes willen. Sie haben doch nicht etwa die ganze Zeit in dieser Kälte auf mich gewartet? Warum sind Sie denn nicht reingekommen?«
»Ach, das macht mir nichts aus.« Die Frau senkte den Blick. Da sie keinerlei Anstalten machte, näher zu kommen, ging Tessa auf sie zu.
»Selbstverständlich gebe ich Ihnen ein Autogramm. Soll ich es widmen?«
»Würden Sie das machen? Das wäre aber nett.«
Die Frau schlug das Album in der Mitte auf und hielt es Tessa samt Stift hin. Auf der linken Hälfte der Doppelseite klebte ein großes Foto von ihr, das zum Neustart der Sendung in einer Fernsehzeitschrift erschienen war.
»Wenn Sie vielleicht rechts unterschreiben würden. Bitte.«
»Wie heißen Sie denn?«
»Lembertz. Susanne. Mit tz.«
Tessa musste sich nach vorn beugen, so leise sprach die Frau.
»Sebastian, machst du das Foto?« Sie winkte ihn herbei, nachdem sie der Frau Album und Stift zurückgegeben hatte.
»Vielleicht sollten wir näher an den Eingang gehen, da ist mehr Licht.«
»Wissen Sie, ich bin nämlich auch schwanger«, sagte die Frau plötzlich, als sie beide unter der Neonröhre standen.
»Woher wissen Sie, dass ich schwanger bin?«
Die Frau errötete wieder. »Sie haben sich verändert, Ihr Gesicht und alles.«
»Ehrlich? Da haben Sie aber einen guten Blick … Na, dann wollen wir mal. Auf die Bäuche.«
Ganz spontan legte Tessa ihren Arm um die Frau, während Sebastian an der fremden Kamera den Blitz suchte.
Tessa wusste, dass die Quoten nicht vor neun Uhr kamen. Dennoch war sie am nächsten Morgen um sieben das erste Mal aufgestanden und an den Computer gegangen. Ebenso um acht. Um drei nach neun – sie war gerade dabei, sich zum dritten Mal einzuloggen – klingelte ihr Handy.
»Drei Komma eins vier«, sagte Attila, und Tessa fand, dass er wie ein Mensch klang, der vom Mars mit der Erde telefonierte. »Vierundzwanzig Prozent Marktanteil.«
»Das ist nicht wahr.«
»Doch. Wir haben’s geschafft. Wir haben’s aus dem Stand geschafft.«
»Drei Komma eins vier Millionen, vierundzwanzig Prozent Marktanteil«, schrie Tessa Sebastian herbei, der nach der anstrengenden Nacht noch einmal eingeschlafen war.
»Nein.« Nun schrie auch Sebastian, er hob Tessa samt Handy
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