Die Buchmagier: Roman (German Edition)
Sie sah weg. »Es gibt zwei Arten von magischen Wesen auf dieser Welt: die, die ›natürlich‹ entstanden sind, und die, die erschaffen wurden. Ich gehöre zu den Letzteren. Ich wurde vor fünfzig Jahren in den Seiten eines billigen Taschenbuchs geboren.«
Die Steifheit ihres Körpers und die Gefühllosigkeit ihrer Stimme erinnerten mich an mich selbst, wie ich nach Mackinac Island in Doktor Shahs Büro gesessen hatte. »Man kann keine intelligenten Lebensformen aus Büchern in unsere Welt bringen!«
Abgesehen von dem Problem mit der Größe konnte kein Buch wirklich die Komplexität eines empfindungsfähigen Wesens einfangen. Der fiktionale Verstand war nicht in der Lage, den Übergang in die reale Welt zu bewältigen. Er wurde wahnsinnig.
Einer meiner frühesten Aufträge für die Pförtner hatte mich in eine Grundschule geführt, in die ich geschickt worden war, um eine Invasion kleiner blauer Männchen zurückzuschlagen. Ein übermäßig begabter Viertklässler hatte es irgendwie geschafft, sie aus einem alten Buch zu ziehen. Drei Äpfel hoch und völlig bekloppt, durch die Bank. Den Geruch hatte ich nie mehr aus meinen Stahlkappenschuhen bekommen, und die geistesgestörten Gesänge lagen mir für Wochen in den Ohren.
Sogar Klecks war eigentlich ziemlich neurotisch. Nachdem ich ihn erschaffen hatte, hatte er für eine lange Zeit endlose Runden in seinem Käfig um sich selbst gedreht, bis er irgendwann vor Erschöpfung zusammengebrochen war. Der Schock hätte ihn wahrscheinlich umgebracht, wäre er nicht so loyal verfasst worden. Ich hatte seine Hilfe gebraucht, und diese grundlegende Loyalität gab ihm eine Rettungsleine, eine Mission, die ihn vor dem endgültigen Wahnsinn bewahrte. »Wie könntest du aus einem Buch gekommen sein?«
»Es war damals, als die Gor -Romane zum ersten Mal erschienen. Genau wie bei jedem anderen angesagten Trend balgten sich die Autoren darum, auf den fahrenden Zug aufzuspringen.« Sie sprach mit monotoner Stimme, sagte die Geschichte auswendig auf, statt sie zu erzählen.
Ich kannte die Gor -Bücher, eine Reihe von John Norman, die berühmt war für ihre Schilderungen sexueller Sklaverei. Gor – die Gegenerde war das erste von Dutzenden gewesen, damals in den späten Sechzigern. Die Reihe war so populär gewesen, dass sie eine ganze Subkultur hervorgebracht hatte.
»Das Buch trug den Titel Die Nymphen des Neptun .«
Ich ächzte. »Echt?«
Das trug mir ein leises Kichern ein. »Ein entsetzlicher Titel für ein entsetzliches Buch. Es gab vierundzwanzig Nymphen, die alle ungefähr gleich aussahen. Der Autor hatte eine Vorliebe für mollige Frauen und beschrieb uns als ›das griechische Ideal von Schönheit und Vollkommenheit‹. Unser äußeres Erscheinungsbild wechselte, je nach den Begierden unserer Liebhaber. Eine von uns wurde einem ›vornehmen nubischen Krieger‹ geschenkt, und sie wurde ›dunkel wie die köstlichste Schokolade, um sich ihrem Herrn und Gebieter anzupassen‹.«
Meine Finger umklammerten das Lenkrad fester. »Und jemand hat diesen Scheiß veröffentlicht?«
»Oh, ›dieser Scheiß‹ war eine Zeit lang ziemlich beliebt.« Sie seufzte. »Ein zentraler Punkt der Natur einer Nymphe ist die Unfähigkeit, ihren Liebhaber zurückzuweisen.«
»Du darfst nicht Nein sagen.«
»Ich werde nie erfahren, wer in dieses Buch griff und eine Eichel vom Baum einer Dryade herauszog. Er muss sie beiseitegeworfen und anschließend komplett vergessen haben, aber mein Baum wuchs mit magischer Geschwindigkeit. Nach wenigen Jahren trat ich nackt und verloren aus ihm heraus. Ich wanderte zwei Tage lang, bis ich zu einem Bauernhaus kam. Der erste Mensch, dem ich begegnete, war ein Bauer namens Frank Dearing. Er nahm mich auf. Tagsüber half ich bei der Feldarbeit, und nachts …«
»Ich kann es mir denken.« Mein Kiefer schmerzte vom Zähnezusammenbeißen.
Ich hatte immer angenommen, Lena wäre eine natürlich geborene Dryade. Die Vorstellung, dass sie erschaffen worden war, gewachsen aus einem Samen in einem miesen Schundroman … erschaffen, um jemandes Spielzeug zu sein, wie irgendein magisches Sexspielzeug … Es machte mich körperlich krank, nur daran zu denken.
Lena berührte meinen Unterarm. »Ist schon in Ordnung.«
»Wie zum Teufel soll das in Ordnung sein?«
»Ich war glücklich. Zufrieden. Ich wusste es nicht besser. Ein Teil unserer Natur ist, dass wir nicht Nein sagen wollen . Als Frank starb und die Pförtner mich fanden, brachten sie mich zu Nidhi. Sie
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