Die Buchmagier: Roman (German Edition)
aufzunehmen.
Sie führte die Finger an die Lippen und warf mir eine Kusshand zu. In ihren Augen las ich sowohl Übermut als auch Lust, und dann, Sekunden später, war ich allein.
Kapitel 9
Den größten Teil der Nacht brachte ich damit zu, an Lena zu denken, selbst in meinen Träumen. Das halbe Frühstück lang drehten sich meine Gedanken um den Versuch, meine Gefühle in Worte zu fassen.
Lena war beim Essen uncharakteristisch still. Ich hatte den Eindruck, als ließe sie mir bewusst Zeit. Sie teilte ihre Aufmerksamkeit zwischen mir und einer Belgischen Waffel, die in Erdbeersirup ertrank und von etwas gekrönt wurde, was ich nur als den Mount Everest der Schlagsahneberge beschreiben kann.
Normalerweise behandelte ich Essen als eine Notwendigkeit, einen Vorgang des Wiederauftankens, der so schnell wie möglich abzuschließen war, doch Lena machte aus jeder Mahlzeit eine sinnliche Erfahrung. Ich beobachtete, wie ihre Zungenspitze ein Fleckchen Sahne von ihrer Unterlippe einfing. Sie blickte durch ihre Wimpern zu mir auf und lächelte.
Ich legte die Gabel weg und schob ein halb aufgegessenes Omelett beiseite. Auf die eine oder andere Art musste ich diese Unterhaltung jetzt beginnen, bevor wir uns nach Detroit in das Nest begaben. »Ich habe mir dich als Menschen vorgestellt.«
»Ach ja?« Verwirrung schlug kleine Fältchen auf der Haut zwischen ihren Augenbrauen.
»Klecks habe ich aus einem Buch geholt«, fuhr ich fort. »Der Zauber ist nicht anders als die, die ich angewandt habe, um den Trank und die Waffe zu erschaffen, die ich im Archiv benutzt habe. Klecks ist durch die Regeln seiner Figur gebunden. Aber er lebt.«
»Woher weißt du das?«, fragte sie in neutralem Ton.
»Nichts in seinem Buch sagte etwas davon, dass er SpongeBob oder mit Schokolade überzogene und in Zimt getauchte Marienkäfer mögen sollte. Er stammt aus einem stereotypen pseudomittelalterlichen Handlungsort. Nichts daran war geeignet, ihn die Lieder von Journey hassen zu lassen.«
Lena prustete. »Journey? Du machst Witze!«
»Was meinst du wohl, weshalb ich auf einmal so schnell den Sender gewechselt habe, als wir gestern über die 127 fuhren? Als er das erste Mal ›Faithfully‹ gehört hat, hat er einen der Lautsprecher im Laster zusammengeschmolzen!«
»Du hast ihn erschaffen. Du könntest seine Vorlieben und Abneigungen geprägt haben.«
»Oh, nein! Ich kann SpongeBob nicht ausstehen!«
»Wie sieht’s mit Journey aus?«
»Wir kommen vom Thema ab.« Ich trank den Rest meines Kaffees und winkte die Kellnerin fort, die mir noch einmal nachschenken wollte. »Es ist einfach, sich daran zu erinnern, was Klecks ist: Keine andere Spinne brät sich ihre Pferdebremsen. Aber du siehst menschlich aus. Du bist stark, du kannst Holz beeinflussen, aber ich habe andere Menschen gleichermaßen beeindruckende Zauber wirken sehen.«
Ich zeichnete mit dem Finger die Maserung der Tischplatte aus Holzimitat nach, als ich mich an die Empfindung erinnerte, die Lenas Magie beim Durchströmen meines Körpers ausgelöst hatte, als sie uns durch die Kiefer miteinander verbunden hatte. »Ich habe versucht, dich wie eine Menschenfrau zu behandeln, und nach diesem Standard … niemand sollte jemals gezwungen oder genötigt werden, sich einen Liebhaber zu nehmen.«
Sie runzelte die Stirn. »Willst du damit andeuten, dass eine Frau, die nicht menschlich ist, Freiwild ist?«
»Das habe ich nicht gemeint!« Ich stöhnte und lehnte mich in der Nische zurück. Der härteste Teil bestand darin, Logik von Verlangen zu trennen. Was ich auch sagte oder tat – wie konnte ich jemals sicher sein, dass meine Affinität zu Lena meine Entscheidung nicht beeinflusst hatte? »Auf jemandes Türschwelle aufzukreuzen und ihn zu bitten, sein Geliebter zu werden … sein Partner … ist nicht normal. Nicht für Menschen.«
»Normal?«, wiederholte sie. »Gestern hast du mir Kuchen aus dem Wunderland zu essen gegeben, damit wir auf deiner Spinne in ein verzaubertes Kellergeschoss reiten und gegen einen Vampir kämpfen konnten!«
»Wohl wahr. Schau, meine Eltern waren viereinhalb Jahre lang zusammen, bevor meine Mutter meinem Vater einen Antrag machte. Menschen entscheiden sich am Ende dieses Zeitraums der Liebeswerbung. Für einen Menschen ist es Wahnsinn, sich einen Partner auszuwählen, den er kaum kennt. Aber du bist kein Mensch. Gestern Nacht bei der Kiefer, da half mir, deine Magie zu spüren – dich zu spüren –, das endlich zu verstehen. Und das ist die Art,
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