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Die Buchmagier: Roman (German Edition)

Die Buchmagier: Roman (German Edition)

Titel: Die Buchmagier: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim C. Hines
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aber es gab einen Präzedenzfall. »Gutenberg hat es einmal gemacht, damals im Zweiten Weltkrieg. Er benutzte ein Exemplar von Mein Kampf , um Informationen über die Deutschen zu sammeln. Jedes Exemplar des Buches wird zu einer Art magischer Wanze.« So wie ich die Geschichte verstanden hatte, war er durch diese Erfahrung dem Tod gefährlich nahegekommen. Einem Tod durch Ertrinken, um die Metapher weiter zu strapazieren. Magische Objekte lösten sich wieder in Energie auf, wenn sie ihren Büchern zurückgegeben wurden. Was würde mit meinem Verstand geschehen, wenn ich den mentalen Halt verlor und unters Eis rutschte?
    Mein einziger Trost bestand darin, dass ich wahrscheinlich nicht lange genug lebte, um zu realisieren, dass ich versagt hatte.
    »Ich kenne diesen Blick«, sagte Lena. »Was verschweigst du mir? Wie soll ich dir helfen, wenn ich nicht weiß –«
    »Du kannst mir nicht helfen!«, fuhr ich sie an und bedauerte es sofort. Ich öffnete das Buch und fing an zu lesen.
    Lena nahm es mir aus der Hand und las die Rückseite. »Worin besteht das Risiko? Willst du dich mit dem Virus infizieren? Wenn es so ist, können wir einen anderen Weg suchen. Ich werde nicht zusehen, wie du stirbst!«
    Ich schüttelte den Kopf. »Die Gefahr ist nicht körperlich. Selbst wenn ich Erfolg habe … es besteht die Möglichkeit, dass etwas durch mich zurückkommt.«
    »Machst du dir Sorgen darüber, besessen zu werden, so wie Gutenberg?«
    Ich machte mir nicht die Mühe zu versuchen, ihr das Buch zu entreißen. »Wenn ich das hier tue, haben wir eine Chance, ihn zu finden. Falls ich mich verliere, kannst du meine Leiche zu den Vampiren zurückschleppen. Ich weiß nur: Wenn wir es nicht versuchen, stirbt Doktor Shah.«
    Lena versteifte sich. Sie hielt das Buch mit beiden Händen fest. Einen Moment lang dachte ich, sie würde sich weigern, es zurückzugeben. Ein Teil von mir hoffte , sie würde sich weigern. Aber sie streckte die Hände aus und hielt es mir hin.
    Keiner von uns sagte etwas. Es war nicht nötig.
    Ich blinzelte und versuchte, mich auf die Geschichte zu konzentrieren. Der Auftakt war tempogeladen, voller Gefahr und Spannung, als Notaufnahmeärzte versuchten, einen Patienten von einer nahegelegenen Universität zu retten, der sich mit einer frühen Form des Virus infiziert hatte. Während ich las, wurden die Seiten wärmer. Ich stellte mir die Stimmen der Figuren vor, die Rufe, als der Patient auf einmal gewalttätig wurde, gefangen in den Schrecken vom Fieber hervorgerufener Halluzinationen. Tränen strömten ihm übers Gesicht, und er spritzte Spucke um sich, während er schrie. Er schlug eine Schwester und sprang von der Transportliege, bloß um zusammenzubrechen, weil die Beine unter ihm nachgaben. Aus dem Schatten dokumentierte eine Gestalt in dunklem Anzug alles gelassen.
    Nach und nach gestattete ich meinen Fingerspitzen, mit den Seiten zu verschmelzen. Der Schmerz von Gutenbergs durchbrochener Magie war diesmal nicht so stechend. Solange ich mich langsam bewegte, vermochte ich sogar, den einen oder anderen Aufschrei zu unterdrücken. Meine Hand sank bis zum Gelenk ein. In diesem Moment hätte ich alles, was ich wollte, aus der Geschichte herausholen können: Waffen, Medizin, infiziertes Blut … »So weit, so gut.«
    »Was kommt als Nächstes?«, fragte Lena.
    Es sah exakt so aus, als hätte jemand meine Hand abgetrennt und ein Buch auf den Stumpf gepfropft. Ich krümmte und streckte die Finger: Ich konnte sie fühlen, aber was bedeutete das wirklich? Manche Pförtner vertraten die Auffassung, dass der Körper seine physikalische Form behielt, wenn man in ein Buch griff; andere behaupteten, dass Fleisch und Knochen aufhörten zu existieren und dass nur die ›Hartnäckigkeit des Glaubens‹ an den eigenen Körper einem erlaubte, sein Fleisch zu erhalten und nachzubilden, während man Libriomantik ausübte. »Hast du dich jemals gefragt, wo dein ›Ich‹ ist?«
    Die Frage war rhetorischer Natur, aber sie antwortete ohne Zögern. »Geteilt zwischen diesem Körper und meinem Baum.«
    »Wirklich? Kannst du deinen Baum spüren, auch wenn du von ihm getrennt bist? Verändert die Entfernung … ach, egal.« Ich widmete meine Aufmerksamkeit wieder dem Buch. »Besessenheit tritt auf, wenn Figuren aus einem Buch in den Geist des Pförtners greifen. Ich muss das Gegenteil tun, meinen Geist, mein Ich in das Buch drängen.«
    Stimmen flüsterten mir ins Ohr. Ich erkannte sie alle. Georgia McCain, die engagierte Ärztin,

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