Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Buchmalerin

Die Buchmalerin

Titel: Die Buchmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sauer
Vom Netzwerk:
sich Hoffnungen machte, die bitter enttäuscht wurden? So wie schon einmal, vor einigen Wochen in dem Kloster an der Mosel, als sie die Stelle als Schreiber erhalten hatte? Und nur knapp den Leuten des Kardinals entkommen war? Unwillkürlich betrachtete Donata ihre rechte Hand, die rot vor Kälte und deren Haut aufgerissen war. Damit hatte sie einmal malen können … So steif, wie die Hand jetzt in der Kälte war, konnte sie kaum glauben, dass sie damit jemals einen Pinsel gehalten hatte.
    Irgendwo hinter dem ehemaligen Haupthaus musste es Hütten und Ställe geben … Sie riss sich zusammen. Irgendeinen geschützten Winkel würde sie finden.
    Sie hinkte an den schiefen, verbrannten Balken vorbei. Als sie an der Rückseite der Ruine angekommen war, bemerkte sie in der Mitte eines halbrunden Platzes, der von kahlen Bäumen gesäumt wurde, einen großen Schneehaufen. Unter ihm schienen sich die Umrisse eines Daches abzuzeichnen. Einen Moment lang wunderte sie sich darüber. Ein seltsamer Ort für eine Scheune oder einen Stall. Auch schien das, was unter dem Schnee verborgen war, zu klein dafür zu sein. Dann begriff sie: Es war ein Backhaus.
    Mühsam humpelte sie darauf zu und verwünschte die Schmerzen in ihrem Bein. Die Vorderseite des Backhauses lag im Schatten, aber sie schien unzerstört. Auch die niedrige Tür befand sich noch an ihrem Platz. Donata empfand eine zaghafte Zuversicht.
    Vor der Tür lag der Schnee so hoch, dass sie nicht zu öffnen war. Donata kniete sich nieder und scharrte die kalte Masse beiseite, bis sie sich durch einen Spalt ins Innere des kleinen Hauses zwängen konnte. Dort hockte sie sich nieder und schob das verletzte Bein in eine Lage, in der es möglichst wenig wehtat.
    Der Ort, an dem sie kauerte, mochte etwa sechs Ellen breit sein. Neben ihr erhob sich die gemauerte Wand des Ofens. In seinem Sockel befand sich ein Hohlraum. Sie griff hinein und hoffte, vielleicht einen leeren Sack zu finden. Ihre Hände ertasteten ein Tongefäß. Sie zog es hervor. Es war nicht leer … Sie hob den Deckel ab und schob ihre Hand hinein: Getreide! Sie stellte das Gefäß zwischen ihre Knie, als müsste sie es schützen. Es war etwa eine halbe Elle hoch mit Getreide gefüllt … Sie nahm eine Hand voll Körner und führte sie zum Gesicht, sog den schwachen erdigen Geruch ein. Die Körner waren länglich und ein wenig dicklich, mit einer schwachen Kerbe in der Mitte – es war Hafer. Eine halbe Elle hoch Hafer. Davon konnte sie sich eine Woche lang ernähren. Eine Woche, die sie dem Ende der Kälte wieder ein Stück näher brachte …
    Donata fasste in ihr Bündel und holte den Rest an Brot und Speck heraus, die sie zwei Tage zuvor einem fahrenden Händler abgekauft hatte. Sie aß gierig und war glücklich, dass sie nichts davon aufsparen musste. Als sie mit dem Mahl fertig war, stand sie unsicher auf. Sie verwünschte ihr Bein, das jetzt, nach der kurzen Rast, noch mehr schmerzte als zuvor. Sie musste das Gehöft absuchen, solange es noch hell war. Vielleicht fand sie irgendwo Steine, mit denen sie den Hafer zerkleinern konnte, und Heureste und vielleicht sogar Feuerholz. Und vielleicht, wenn sie sich einige Tage kaum bewegte, würde auch ihr Bein heilen.

    *

    Roger blickte über den Talgrund. Im Schnee zeichneten sich deutlich Fußstapfen ab. Ihre Ränder waren scharf umrissen. Wer auch immer die Wiese überquert hatte und auf das Gehöft zugelaufen war, musste es vor nicht langer Zeit getan haben. Andernfalls hätte der Wind, der den trockenen Schnee wie feinen Staub vor sich herwehte, die Kanten der Spur abgeschliffen. Natürlich konnte irgendwer auf dem abgelegenen, unbewohnten Gehöft Zuflucht gesucht haben. Es gab genug Menschen, die Gründe hatten, sich zu verbergen. Aber sein Instinkt sagte ihm, dass er tatsächlich die Frau finden würde, nach der er suchte.
    Er folgte der Spur quer über die verschneite Wiese ins Innere des Gehöfts. Als er fast bei den Überresten des niedergebrannten Haupthauses angelangt war, glaubte er, ein leises, schabendes Geräusch zu hören, das nicht vom Wind herrührte. Er lauschte. Das Geräusch kam aus dem Innern des zerstörten Gebäudes. Er ging rasch näher, spähte zwischen den Balken hindurch. Eine Frau hockte auf dem Boden neben einem Stück Mauerwerk, das ein Teil der Feuerstelle gewesen sein mochte, und grub mit einem Holzstück im Schnee. Der Schleier, den sie trug, war ihr in den Nacken gerutscht. Er erkannte ihr mageres, verschlossenes Gesicht sofort.

Weitere Kostenlose Bücher