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Die Buchmalerin

Die Buchmalerin

Titel: Die Buchmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sauer
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wartete. Er konnte nicht länger zögern, ohne Verdacht zu erregen.
    Langsam hob der Abt den Kelch. In diesem Moment spürte er, wie der Stein im Ärmelaufschlag verrutschte. Es gelang ihm, den Splitter mit den Fingern der freien Hand zu greifen und zwischen ihnen festzuhalten. Vorsichtig schob er diese Hand über die andere, die den Stiel des Kelchs umschloss. Als er das Gefäß seiner Großtante an den Mund setzte, hob auch sie die Hände – wie in einer flehenden Geste, als beabsichtigte sie, den Kelch zu berühren. Ihre Finger strichen über seine. Er ließ den Steinsplitter los und fühlte, dass seine Großtante den Lapislazuli zu fassen bekam. Erleichtert wollte er beiseite treten. Doch Enzio fiel ihm ihn den Arm.
    »Ihr gestattet«, sagte der Kardinal leise. Er reichte Heinrich von Müllenark die Hostienschale und nahm dem überraschten Erzbischof das Tuch ab. Danach beugte er sich vor und bog die gefalteten Hände der Äbtissin auseinander, so als wollte er einen Tropfen des gewandelten Weins von ihnen abwischen, der darauf gefallen sein mochte.
    Für den Bruchteil eines Augenblicks glaubte Abt Hugo, einen blauen Lichtfunken aufleuchten zu sehen. Enzio von Trient hatte die Handflächen der Äbtissin nach oben gekehrt – sie waren leer. Verwunderung zeichnete sich auf dem Gesicht des Kardinals ab. Doch sofort hatte er sich wieder in der Gewalt. Der Abt beobachtete, wie Enzios Blick hinüber zum Chorgitter wanderte. Ein gedrungener, kahlköpfiger Mann, der dort stand, schüttelte leicht den Kopf.
    Als sei nichts geschehen, ergriff der Kardinal wieder die Hostienschale und reichte der Benediktinerin, die neben der Äbtissin kniete, die heilige Kommunion. Während Hugo neben ihn trat, bemerkte er, dass die Andeutung eines Lächelns um den Mund seiner Großtante spielte. Neben dem Saum ihres Gewandes entdeckte er jetzt einen winzigen Flecken auf dem hellen Steinboden, unscheinbar, wie ein Krümel Erde, den jemand mit den Schuhen in die Apsis getragen hatte.

    *

    Den Fortgang der Messe nahm Donata wie von ferne wahr. Ihre Aufmerksamkeit galt dem Kirchenraum, denn sie versuchte sich einzuprägen, wo Pfeiler und Altäre standen, und vor allem, wo die Tür im Chorgitter war – ihr Durchlass zum Kloster. Sie musste sich auch im Dunkeln zurechtfinden.
    Die Wandlung begann und die Menschen im Kirchenschiff knieten sich nieder. Donata wagte es, über die gebeugten Rücken hinweg den Blick zu heben, und sah, wie Enzio sich noch einmal der Äbtissin zuwandte, nachdem ihr Großneffe ihr den Weinkelch gereicht hatte.
    Voller Angst fragte sie sich, ob der Abt der alten Frau den Lapislazuli gegeben und der Kardinal dies bemerkt hatte. Enzio musste wissen, dass sie einmal Buchmalerin gewesen war. Und Veit, der Schreiber, hatte ihm sicher berichtet, dass er sie bei einem Stand mit Farben entdeckt hatte. Es würde ein Leichtes sein, von dem Lapislazuli auf sie zu schließen. Sie durfte jetzt nicht darüber nachgrübeln!
    Unter gesenkten Lidern bemühte sich Donata, sich die Details des Innenraums ins Gedächtnis zu bannen. Je fünf Säulen trennten das Haupt- von den beiden Seitenschiffen. In dem Seitenschiff zu ihrer Rechten befand sich der steinerne Altar, dessen Sockel an den Schmalseiten offen war. Diesen Altar hatte ihr der Abt auf dem Wachstäfelchen markiert. Etwa zwei Dutzend Schritte würde sie bis dorthin benötigen und noch einmal doppelt so viele vom Altar bis zur Tür im Chorgitter. Und von dem schmiedeeisernen Gitter aus waren es wieder ein gutes Dutzend Schritte bis zum Eingang der Sakristei.
    Als die Wandlung vorüber war, erhoben sich die Menschen wieder. Enzio sprach die lateinischen Formeln, die das Ende der Messe ankündigten. Anschließend trat er vom Hochaltar zurück und ging in die Mitte der Apsis. Hier blieb er stehen, schlug das Kreuzzeichen und segnete die Menge. Unwillkürlich duckte Donata sich, als könnte sie so dem Segen ausweichen.
    Während sich die Gläubigen langsam auf die Kirchentüre zuschoben, schaute sie sich vorsichtig um. Léon hatte noch immer seinen Platz vor dem Chorgitter inne und blickte über das Kirchenschiff. Die Benediktiner strebten mittlerweile auf das Portal zu. Die beiden Männer des Kardinals folgten ihnen. Donata senkte den Kopf und schob sich auf das Seitenschiff zu.
    Die Säulen, die das Haupt- vom Seitenschiff trennten, waren nur noch wenige Schritte von ihr entfernt, als die Lichter in der Apsis erloschen – die Nonnen hatten die Kirche verlassen. Halb blind, denn

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