Die Buchmalerin
Hand fasste sie nach Donatas Kinn und zog es zu sich herab. Eine Weile musterte sie Donata über die Flamme hinweg.
»Nun, ich hätte nicht gedacht, dass ich dich wieder sehen würde«, bemerkte die alte Frau schließlich trocken. »Aber zurzeit täusche ich mich bisweilen.«
Ein Funkeln glomm in ihren dunklen Augen auf. »Dein Benehmen hat sich jedenfalls nicht verbessert«, fügte sie barsch hinzu. »Ich muss dich wieder an die Höflichkeit erinnern, die du mir schuldig bist.« Sie streckte die Hand vor, an der sie den schweren goldenen Ring trug.
Nachdem Donata sich niedergekniet und ihn geküsst hatte, bedeutete die Äbtissin ihr, sich auf einen Schemel zu setzen, und nahm selbst in dem Lehnstuhl Platz.
»Der Diener des Kardinals und der andere Mann«, fragte Donata. »Sind sie noch in der Kirche?«
»Ich glaube nicht«, ein Lächeln spielte um den Mund der alten Frau. »Und auch wenn – in das Kloster können sie vorerst nicht gelangen.« Wieder musterte sie Donata. »Mein Großneffe hat dich also hierher gebracht.«
»Ja.«
»Du hast ihm von deiner Vergangenheit erzählt?«
Donata nickte.
»Er scheint sich tatsächlich verändert zu haben«, murmelte die Äbtissin. »Wie bist du dazu gekommen, ihn um Hilfe zu bitten?«
»Ein Kundschafter Friedrichs«, Donata schreckte davor zurück, Rogers Namen auszusprechen, »er …, der Kundschafter gab mir einen Brief, den Ihr für ihn geschrieben habt.«
»Er hat dich also gefunden«, meinte die Äbtissin nachdenklich.
»Ja, in dem Gehöft, das ein Blitzschlag niedergebrannt hatte.«
»In diesem Fall hat mich meine Ahnung also nicht getrogen. Damals, als mir der Kundschafter hier in diesem Zimmer gegenübersaß, sagte er, er wolle mit dir zusammen nach Heinrichs Boten suchen, einem glaubwürdigen Mann, der ein Zeuge des Mordes an Gisbert ist. Hat er den Zeugen gefunden?«
»Ja«, entgegnete Donata leise. Sie sah Roger vor sich, wie sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Im Zwielicht der Dämmerung, das seine Gestalt verwischte, sodass sie nicht einmal wusste, ob er sich noch einmal zu ihr umgedreht hatte. Sie durfte jetzt nicht daran denken.
»Warum bist du dann gekommen und nicht er? Hat er den Zeugen doch zu Friedrich in den Süden gebracht?«
»Nein, er ist nicht mit ihm zu dem Staufer gegangen. Der Zeuge ist tot.« Donata sah auf ihre rissigen, aufgesprungenen Hände nieder, die in ihrem Schoß lagen. Sie erschienen ihr fremd und nicht zu ihr zu gehören.
»Warum ist der Kundschafter nicht hierher gekommen?«, beharrte die Stimme der Äbtissin. »Ich will eine Antwort!«
»Gebt sie Euch selbst!«, versetzte Donata zornig, während sich ihr die Kehle zuschnürte.
»Ich will sie von dir hören …«
»Nein!« Donata wollte den Blick abwenden, aber die dunklen Augen der Äbtissin ließen ihn nicht los. Wieder hatte sie die Empfindung, dass Strudel in ihnen lauerten, die nach ihrer Seele griffen. Sie versuchte, sich dagegen zu wehren, doch es gelang ihr nicht. Stattdessen schlug sie die Hände vors Gesicht und begann zu weinen.
Die Äbtissin wartete eine Weile, bis sie Donatas Hände ergriff, sie ihr vom Gesicht zog und einen Moment lang mit ihren verkrümmten Fingern festhielt. »Ein seltsamer Mann und kein sehr glücklicher Mann, aber ich habe ihn geschätzt«, murmelte sie.
Sie zog ein weißes Leinentuch aus ihrer Kutte, reichte es Donata und ließ ihr Zeit, sich die Augen und die Wangen zu trocknen.
»Da du auch einmal in einem Benediktinerinnenkloster gelebt hast, wirst du wissen, dass bald die Prim beginnt, und ich würde dieses Gebet ungern versäumen«, sagte sie streng, doch ihr scharf geschnittenes Raubvogelgesicht wirkte fast weich. »Deshalb möchte ich jetzt endlich erfahren, weshalb du es auf dich genommen hast, beinahe den Leuten des Kardinals in die Arme zu laufen und hierher zurückzukehren.«
»Weil ich beobachtet habe, wie Enzio Gisbert, den Inquisitor, umbrachte, und dies vor Gericht aussagen will. Falls Ihr bereit seid, für mich zu bürgen.«
»Für dich bürgen …« Die alte Frau betrachtete sie versonnen. »Ich kann meine Stellung als Äbtissin in die Waagschale werfen und meine adelige Herkunft. Was normalerweise schwer wiegen würde. Aber der Kardinal gedenkt, auch mich der Ketzerei anzuklagen. Wie dir mein Großneffe vielleicht mitgeteilt hat.«
»Ja, das hat er …« Donata fragte sich, worauf die Benediktinerin hinauswollte. Konnte es sein, dass die Äbtissin nicht für sie eintreten und alles, was sie während der
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