Die Bucht der schwarzen Perlen
Hütte. Draußen setzte er sich auf einen umgerissenen Palmenstamm und wartete, bis Ron zu ihm hinauskam.
»So geht das nicht weiter, Tápana«, sagte Ron und setzte sich neben das Stammesoberhaupt. »Entweder werde ich in deinem Paradies verrückt, oder ich verführe deine Tochter, was ebenso verrückt ist!«
Tápana verstand nur seinen Namen, nickte und zeigte auf sich.
»Paß mal auf, wir versuchen es mal anders«, schlug Ron vor.
Er bückte sich, nahm einen Ast vom Boden und ritzte in den noch sonnenwarmen weißen Sand den Umriß eines Schiffes … erst mit Schornsteinen, dann mit Mast und Segeln. Er tippte mit dem Ast auf sein Bild und zeigte dann hinaus aufs Meer.
»Kommt ein Schiff hierher?« fragte er dabei.
Tápana sah auf die Zeichnung im Sand und verstand durch den fragenden Ton in Rons Stimme, was dieser meinte. Wortlos nahm er ihm den Ast aus der Hand und verwischte das Schiff.
»'Ikai …«, sagte er dabei und schüttelte den Kopf. (Nein)
»Verdammt! Hier kommt kein Schiff vorbei?«
»'Ikai …«
»Das ist einfach nicht möglich! Ihr lebt doch auf keinem anderen Stern, gehört schließlich zum Königreich Tonga. Ab und zu muß jemand zu euch kommen! Wo habt ihr denn die Stoffe her? Die Werkzeuge? Die Schüsseln und Kochtöpfe? Nägel habe ich bei euch gesehen, Drahtrollen und Taue. Die wachsen nicht auf Bäumen! Euch muß doch jemand besuchen … ein Händler, der die Inseln abklappert … Mein Gott, wie soll man dir das erklären?«
Er sah Tápana resignierend an, als er etwas entdeckte, das ihn wie ein elektrischer Schlag durchzuckte. Das war es, das würde Tápana verstehen, das konnte weiterhelfen: Um den braunen Hals trug der Stammesfürst eine lange Kette aus bunten Glasperlen und als zweiten Schmuck, etwas kürzer, eine Kette aus matt glänzenden, ebenmäßigen schwarzen Perlen.
Wer hatte Tápana geschliffenes Glas und schwarzen Plastik-Kitsch verkauft?
»Hier!« Ron griff nach der Glaskette und hob sie von Tápanas Brust hoch. »Wer? Woher? Wer ist das?«
Der Alte lächelte und nickte wieder, wobei er sagte: »Gilbert Descartes.« Er sprach den französischen Namen sogar mit der richtigen Betonung aus. »Kaume'a …« (Freund.)
»Das hätten wir.« Ron atmete tief durch. Es gab also einen Gilbert Descartes, der die Inseln versorgte. Er zeigte wieder auf das Meer und machte eine weite Handbewegung. »Wo? Wo ist Gilbert Descartes?«
Tápana zog die Glaskette aus Rons Händen und streckte den Arm aus.
»Lifuka«, sagte er. »Pangai …«
»Na also, jetzt weiß ich's. Und das ist eine große Scheiße!«
Ron stützte das Kinn in die rechte Hand und starrte aufs Meer hinaus. Lifuka hieß die Hauptinsel der Ha'apai-Gruppe, und Pangai ist die Hauptstadt und der Hafen. Auch dahin hatte er gewollt auf seiner Rundfahrt durch das Königreich Tonga, bevor der Sturm ihn zu einem Stück Treibholz machte.
Gilbert Descartes lebte also in Pangai, was bedeutete, daß diese Insel hier zu der Ha'apai-Gruppe gehörte, eines der kleinen Eilande, die weit abseits der Fährrouten lagen, die kein Flugzeug überflog, die selbst den Tongalesen unbekannt waren. Ein winziger Fleck aus Steinen, Sand, Korallen und Palmen im riesigen Stillen Ozean.
Wann kam Descartes wieder hierher? In einem halben Jahr? Oder früher? War er erst kürzlich hier gewesen, oder konnte er schon morgen jenseits des Korallenriffs vor Anker gehen? Wen konnte man fragen? Niemand verstand ja Englisch. Nur etwas war gewachsen: die Hoffnung, einmal, über kurz oder lang, von dieser Insel wegzukommen. Dann, wenn Descartes hier landen würde.
Gott, ich belästige dich sonst nicht, aber jetzt bitte ich dich: Laß ihn bald kommen, betete Ron.
Bei Einbruch der Dunkelheit erschien wieder Tama'Olu und brachte kaltes Fleisch, Bananen, gedünstete Avokados und einen Krug mit Kokosmilch. Unter dem Arm trug sie eine Schüssel mit hartem Tierfett, in dem drei Dochte aus Palmfasern steckten, eine Art Kerze, die einen Schimmer von Licht in die Hütte brachte und die Dunkelheit vertrieb, die nur der Mondschein durchbrechen konnte.
Während Ron aß, begann Tama Feuer zu machen. Sie rieb zwei trockene Hölzer aneinander und hielt sie dabei über trockenes Palmstroh, so lange, bis ein Funke von den geriebenen Hölzern sprang und das Stroh entzündete. Mit der aufzüngelnden Flamme steckte sie die drei Dochte an. Es wurde heller, als Ron erwartet hatte. Nur ein ranziger, säuerlicher Geruch breitete sich aus, als das Tierfett dem Feuer Nahrung
Weitere Kostenlose Bücher