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Die Bücher und das Paradies

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Titel: Die Bücher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Abänderungen,
    Streichungen, Neuansätzen), dann gibt es keine gleich-
    bleibende Art und Weise, einen Roman zu schreiben.
    Jedenfalls nicht für mich. Ich weiß von Autoren, die
    morgens um acht aufstehen, sich von halb neun bis zwölf
    an die Maschine setzen ( nulla dies sine linea )und dann aufhören, um bis abends spazierenzugehen. Ich gehöre
    nicht dazu. Vor allem kommt, wenn man einen Roman
    schreiben will, der Akt des Schreibens erst später. Zuerst
    wird gelesen, man macht sich Auszüge, zeichnet Porträts
    von Personen, Karten von Orten und Muster von
    Zeitsequenzen. Und diese Dinge macht man mit Stift oder
    Füller oder am Computer, je nachdem, wann und wo man
    sich gerade befindet, welche Art von erzählerischer Idee
    oder Faktum man sich notieren will: auf der Rückseite des
    Fahrscheins, wenn man gerade im Zug sitzt, in einer
    Kladde, auf einer Karteikarte, mit dem Kuli, mit dem
    Diktiergerät, wenn es sein muß mit Brombeersaft.
    404
    Dann kommt es vor, daß ich etwas wegwerfe, zerreiße,
    zerknülle, irgendwo vergesse, aber ich habe Schachteln
    voller Hefte, Notizblöcke mit Seiten in verschiedenen
    Farben, mit Kärtchen, sogar mit Kanzleibögen. Und diese
    ungeordnete Vielfalt von Schreibmaterial ist mir eine
    Gedächtnishilfe, denn ich erinnere mich zum Beispiel, daß
    ich mir eine bestimmte Notiz auf dem Briefpapier eines
    Hotels in London gemacht hatte und daß ich den Anfang
    eines bestimmten Kapitels in meinem Arbeitszimmer auf
    einer blaßblau liniierten Karteikarte skizziert hatte, und
    zwar mit dem Montblanc-Füller, während der erste
    Entwurf des folgenden Kapitels auf dem Land entstanden
    war, auf der Rückseite eines wiederverwendeten Einkaufs-
    zettels.
    Ich habe keine Methode, keine festen Tage, Stunden,
    Jahreszeiten. Aber vom zweiten bis zum dritten Roman
    hatte ich eine Gewohnheit entwickelt. Ich sammelte Ideen,
    machte mir Notizen, schrieb provisorische Fassungen, wo
    immer es mir gerade unterkam, aber dann, wenn ich
    wenigstens eine Woche in meinem Haus auf dem Land
    verbringen konnte, schrieb ich die Kapitel dort am
    Computer. Bevor ich wieder abreisen mußte, druckte ich
    sie aus, korrigierte sie und ließ sie dann in einer Schublade
    liegen, bis ich das nächste Mal aufs Land kam. Die
    Schlußfassungen meiner drei ersten Romane habe ich dort
    geschrieben, gewöhnlich in den zwei bis drei Wochen der
    Weihnachtsferien. Deshalb hatte ich angefangen, einen
    Aberglauben zu kultivieren (ich, der am wenigsten
    abergläubische Mensch der Welt – ich gehe unter Leitern
    hindurch, grüße freundlich alle schwarzen Katzen, die mir
    über den Weg laufen, und lege, um die abergläubischen
    Studenten zu bestrafen, meine Prüfungstermine immer auf
    Dienstage oder Freitage, solange sie nur dreizehnte oder
    siebzehnte sind): Die so gut wie endgültige Fassung, bis
    405
    auf kleinere Korrekturen, mußte am 5. Januar, meinem
    Geburtstag, fertig sein. Wenn ich es nicht schaffte, wartete
    ich bis zum nächsten Jahr (und einmal, als ich schon im
    November fast fertig war, ließ ich alles andere liegen, um
    das Ziel bis Januar zu erreichen).
    Auch hier war Baudolino die Ausnahme. Oder anders
    gesagt, er war im selben Rhythmus geschrieben worden,
    immer auf dem Lande, aber gegen Ende der ersten Hälfte,
    in den Weihnachtsferien 1999 – 2000, war ich ins Stocken
    geraten. Zuerst dachte ich, es läge an dem damals
    vielbeschrienen Millenium Bug . Es war das Kapitel über den Tod von Barbarossa, und was darin geschehen würde,
    war bestimmend für die Schlußkapitel und für die ganze
    Art, wie ich die Reise zum Reich des Priesters Johannes
    erzählen würde. Einige Monate war ich völlig blockiert,
    ich wußte beim besten Willen nicht, wie ich diese
    Schwelle überwinden oder diese Klippe umschiffen sollte.
    Ich verdrängte das Problem und ließ mir die (noch zu
    schreibenden) Kapitel durch den Kopf gehen, auf die ich
    mich schon von Anfang an gefreut hatte: die Begegnung
    mit den Monstern und vor allem die Begegnung mit
    Hypatia. Ich träumte davon, diese Kapitel schreiben zu
    können, aber ich wollte es nicht tun, solange ich das
    Problem nicht gelöst hatte, das mir zu einer Obsession
    geworden war.
    Im Sommer 2000, wieder auf dem Lande, gelang es mir
    dann Mitte Juni, »die Klippe zu umschiffen«. 1995 hatte
    ich angefangen, an den Roman zu denken, ich hatte fünf
    Jahre gebraucht, um bis zur Mitte zu gelangen, also würde
    ich –
    sagte ich mir
    – nun noch weitere fünf Jahre
    brauchen, um ihn

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