Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Buecher und das Paradies

Titel: Die Buecher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
Vom Netzwerk:
begreift. Ich war mir bewußt, daß nur sehr wenige Leser in der Lage sein würden, die Anspielung zu verstehen, und hielt das, textstrategisch gesehen, nicht für schlimm - soll heißen: ich ging davon aus, daß mein Roman auch ohne Kenntnis des historischen Casaubon gelesen und verstanden werden kann.
    Bevor ich den Roman beendet hatte, entdeckte ich dann ganz zufällig, daß Casaubon auch eine Figur in George Eliots Middlemarch ist - ein Roman, den ich vor langer Zeit gelesen hatte, ohne daß jener Name irgendeine Spur in meinem Gedächtnis hinterlassen hätte. In manchen Fällen will der Modell-Autor Interpretationen, die ihm sinnlos erscheinen, von vornherein unterbinden, und so habe ich mich bemüht, die Möglichkeit einer Bezugnahme auf George Eliot auszuräumen. Daher liest man nun auf S. 77 folgenden Dialog zwischen Belbo und Casaubon:
    »Übrigens, wie heißen Sie eigentlich?«
    »Casaubon.«
    »War das nicht eine Romanfigur in Middlemarch?«
    »Keine Ahnung. Jedenfalls war’s, glaube ich, auch ein Philologe der Renaissance. Aber ich bin nicht mit ihm verwandt.«
    Aber dann kam ein maliziöser Leser, David Robey, der bemerkt hatte, daß dieser Casaubon bei George Eliot offenbar nicht zufällig ein Buch namens Key to all mythologies schreibt, und ich muß zugeben, das scheint natürlich bestens zu meiner Figur zu passen. Später hat sich dann Linda Hutcheon genauer mit diesem Zusammenhang befaßt 6 und noch andere Affinitäten zwischen den beiden Casaubons gefunden, was die ironisch-intertextuelle Temperatur meines Romans noch erhöht.
    Als empirischer Autor kann ich versichern, daß mir kein Hauch von all diesen Analogien bewußt war, aber wenn die Belesenheit der Leserin Hutcheon so groß ist, daß sie ihr diesen intertextuellen Bezug erlaubt, und wenn mein Text ihn ermutigt, dann muß ich zugeben, daß die Operation objektiv - im Sinne von kulturell und sozial -möglich ist.
    Ähnlich steht es mit dem Namen Foucault. Mein Roman heißt Das Foucaultsche Pendel, weil das Pendel, um das es geht, von Léon Foucault erfunden worden ist. Wäre es von Benjamin Franklin erfunden worden, hieße der Roman Das Franklinsche Pendel. In diesem Fall war mir von Anfang an bewußt, daß hier jemand eine Anspielung auf Michel Foucault sehen könnte: Meine Personen sind besessen von Analogien, und Foucault hat über das Paradigma der Ähnlichkeit geschrieben. Als empirischer Autor war ich nicht sehr glücklich über die Möglichkeit dieser Verbindung, da sie mir eher oberflächlich vorkam. Aber das von Léon Foucault erfundene Pendel war der Held meiner Geschichte, und es heißt nun mal so, wie es heißt, ich konnte den Titel nicht ändern. Also hoffte ich, daß mein Modell-Leser keine Verbindung mit Michel herstellen würde. Leider vergeblich, viele Leser haben es getan. Linda Hutcheon mehr als alle, sie hat sogar detaillierte Entsprechungen zwischen Elementen des Romans und den vier Figuren der Ähnlichkeit gefunden, die Michel Foucault im Kapitel über die Prosa der Welt in seinem Buch Les mots et les choses beschreibt. 8 Müßig zu sagen, daß ich Les mots et les choses 1966 gelesen hatte, als das Original erschienen war, also fast vierzig Jahre bevor ich den Roman zu schreiben begann; in der Zwischenzeit hatte ich Gelegenheit gehabt, die Phantasien der Ähnlichkeit in der Tradition des Hermetismus der Renaissance und des Barock kennenzulernen, so daß ich beim Schreiben an die direkten Quellen dachte, respektive an den deliranten Gebrauch dieser Quellen in den heutigen Texten des kommerziellen Okkultismus. Hätte mein Roman Das Franklinsche Pendel geheißen, wäre wahrscheinlich niemand darauf gekommen, die Bezugnahmen auf die Theorie der Signaturen mit Michel Foucault in Verbindung zu bringen, und es wäre leichter gewesen, an Paracelsus zu denken. Aber ich gebe zu, daß der Titel des Buches, und jedenfalls der Name des Erfinders des gleichnamigen Pendels, eine zu leckere Spur für Jäger nach intertextuellen Bezügen darstellte, und Linda Hutcheon hatte alles Recht, zu finden, was sie gefunden hat. Und wer weiß, ob sie nicht - zumindest auf der Ebene einer Psychoanalyse des Autors - insofern recht hat, als mein Interesse für einige Aspekte des Hermetismus durch jene lang zurückliegende Lektüre Foucaults (Michel) geweckt worden sein könnte.
    Dennoch wäre es interessant festzustellen, ob meine Bezugnahme auf Foucault ein Fall von intertextueller Ironie oder einfach von nicht bemerktem Einfluß wäre. Bisher habe

Weitere Kostenlose Bücher