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Die Buecher und das Paradies

Titel: Die Buecher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Bezugnahme auf den barocken Topos heraushört, und dennoch wird er nicht weniger Genuß an der altehrwürdigen und wörtlich abgeschriebenen Doppelgängergeschichte haben. In der Insel des vorigen Tages gibt es einige überraschende Handlungsumschwünge, die klar auf Dumas verweisen, und manchmal ist das Zitat sogar wörtlich, aber der Leser, der es nicht erkennt, kann sich trotzdem, wenn auch naiv, an dem schönen Theatercoup delektieren. Wenn ich also vorhin gesagt habe, intertextuelle Ironie sei snobistisch und aristokratisch, muß ich mich hier korrigieren, denn sie schließt den naiven Leser nicht aus: Sie ist wie ein Festmahl, bei dem im Erdgeschoß die Reste der im Obergeschoß aufgetragenen Speisen verteilt werden, aber nicht die Reste auf den Tellern, sondern die in den Schüsseln, die gleichfalls gut aufgetragen worden sind, und da der naive Leser glaubt, es gebe nur ein Fest im Erdgeschoß, genießt er die Speisen als das, was sie sind (und sie sind alles in allem schmackhaft und reichlich), ohne zu ahnen, daß jemand anders schon mehr davon gehabt hat.
    Ganz ähnlich ist es ja auch, wenn jemand naiv das Sonett Tanto gentile e tanto onesta pare 12 liest, ohne zu wissen, wie stark sich die Wortbedeutungen seit Dante verändert haben und welche philosophischen Voraussetzungen seine Dichtung hatte. Er erfreut sich bloß an einer schönen Liebeserklärung und zieht dennoch großen Gewinn daraus, sowohl emotional wie intellektuell. Woran man sieht, daß meine kulinarische Analogie vielleicht provozierend war, aber nicht beabsichtigte, Kunst und Gastronomie auf eine Stufe zu stellen.
    Schließlich kann nicht einmal der naivste Leser durch die Maschen des Textes schlüpfen, ohne den Verdacht zu schöpfen, daß der Text bisweilen (oder oft) über sich hinausweist. Wobei sich dann zeigt, daß intertextuelle Ironie nicht nur keinen Ausschluß bewirkt, sondern im Gegenteil eine Aufforderung und Einladung zum Einschluß darstellt, die stark genug ist, auch den naiven Leser allmählich in einen zu verwandeln, der das Aroma der vielen anderen Texte wahrzunehmen beginnt, die dem, den er liest, vorausgegangen sind.
    Gibt es Beziehungen zwischen intertextueller Ironie und dem biblischen oder danteschen Höheren Sinn? Einige. Intertextuelle Ironie liefert säkularisierten Lesern, die keinen spirituellen Sinn mehr im Text suchen, einen intertextuellen Höhersinn. Die biblischen und poetischen Höhersinne der Theorie des vierfachen Schriftsinns ließen den Text in die Vertikale wachsen, jeder Sinn näherte sich ein Stück mehr einem höheren Jenseits. Der intertextuelle
    Höhersinn ist horizontal, labyrinthisch, rhizomatisch und unendlich, er geht von Text zu Text immer weiter - wobei es keine andere Verheißung gibt als das fortwährende Gemurmel der Intertextualität. Intertextuelle Ironie setzt einen absoluten Immanentismus voraus. Sie liefert denjenigen Offenbarungen, die den Sinn für die Transzendenz verloren haben.
    Nicht ernst nehmen würde ich allerdings diejenigen, die nun moralisierend den Schluß zögen, intertextuelle Ironie sei die Ästhetik der Gottlosen. Sie ist eine Technik, die auch von einem Werk aktiviert werden kann, das einen spirituellen Höhersinn inspirieren will oder das sich als hohe moralische Lehre präsentiert oder das von Tod und vom Unendlichen zu sprechen weiß. Remo Ceserani hat die Güte gehabt zu bemerken, daß mein angeblicher Postmodernismus nicht frei von einem Sinn für Melancholie und Pessimismus sei. 13 Ein Zeichen dafür, daß intertextuelle Ironie nicht um jeden Preis einen gedankenlosen Karneval des Dialogismus voraussetzt. Aber gewiß verlangt sie, so gequält der Text auch immer sein mag, daß der Leser sich das Gewisper der Intertextualität vergegenwärtigt, die unseren Qualen vorangegangen ist, und daß Autor und Leser sich auch im mystischen Corpus der Nichtheiligen Schriften zu vereinigen wissen.
    1
       Schriftform eines im Februar 1999 an der Scuola Superiore di Lingue Moderne per Interpreti e Traduttori in Forli gehaltenen Vortrags.
    2
       Linda Hutcheon, »Eco’s Echoes: Ironizing the (Post)Modern«, in N. Bouchard und V. Pravadelli (Hg.), Umberto Eco 's Alternative, New York, Lang, 1998; Linda Hutcheon, A Poetics of Postmodernism, London, Routledge, 1988; Brian McHale, Constructing Postmodernism, London, Routledge, 1992; Remo Ceserani, »Eco’s (post)modernist fiction«, in Bouchard und Pravadelli, op. cit., S. 148.
       Charles Jencks, The Language of

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