Die Buecher und das Paradies
überall realisieren, wo der Mensch lerne, sich nicht dem Mystizismus und der Nostalgie zu ergeben, in Amerika wie in Rußland.
In unseren Worten über Amerika mag vieles naiv und ungenau sein, und vieles mag sich auf Themen beziehen, die dem historischen Phänomen USA und seinen aktuellen Formen ganz fremd sind. Aber das spielt keine Rolle, denn auch wenn der Kontinent nicht existierte, würden unsere Worte nicht ihren Sinn verlieren. Dieses Amerika braucht keinen Kolumbus, es ist in uns entdeckt, es ist das Land, nach dem man mit der gleichen Hoffnung und Zuversicht strebt, wie sie die ersten Emigranten hatten und wie sie jeder hat, der entschlossen ist, um den Preis von Mühen und Irrtümern die Würde der Conditio humana zu verteidigen.
Mit dem Bild dieses universalen Amerikas im Herzen schloß Giaime Pintor sich den britischen Truppen in Neapel an und starb beim Versuch, die deutschen Linien zu durchbrechen, um den Partisanenkampf in Latium zu organisieren. 2 Woher kam dieses Bild Amerikas? Giaime Pintor und Vittorio Mussolini antworten uns von zwei entgegengesetzten Seiten der Barrikade, daß der Mythos durchs Kino gekommen sei. Aber auch die Literatur, zumal die erzählende, war ein Element der Verbreitung und Inspiration gewesen. Und am Ursprung dieser Verbreitung finden wir zwei Schriftsteller, Elio Vittorini und Cesare Pavese. Beide aufgewachsen im faschistischen Klima, hatte Vittorini sich auf das Abenteuer mit Primato eingelassen, während Pavese schon seit 1935 nach Kalabrien verbannt worden war. Beide fasziniert vom Mythos Amerika, wurden sie beide später Kommunisten.
Vittorini arbeitete mit dem Verleger Bompiani zusammen, der schon in den dreißiger Jahren begonnen hatte, Steinbeck, Caldwell, Cain und andere amerikanische Autoren zu publizieren, ständig behindert vom faschistischen »Ministero della Cultura Popolare«, dem sog. Minculpop, wie eine Reihe offizieller Briefe bezeugt (Meisterwerke unfreiwilligen Humors), in denen das eine oder andere Buch verboten oder mit Beschlagnahme bedroht wird, weil es eine unheroische Sicht des Lebens zum Ausdruck bringe oder Personen niederer Rasse vorführe oder in einer zu rohen Sprache Gebräuche schildere, die nicht dem Ideal liktonscher und römischer Moralität entsprächen. Auch Pavese arbeitete als Übersetzer, aber gleichsam im Untergrund, denn er bekam keine reguläre Erlaubnis, da er als Antifaschist abgestempelt war.
1941 stellte Vittorini für Bompiani den Band Americana zusammen, eine mehr als tausendseitige Anthologie mit Texten, die von Washington Irving bis Thornton Wilder und William Saroyan reichten, unter Einschluß von O. Henry und Gertrude Stein - übersetzt von jungen Literaten namens Alberto Moravia, Carlo Linati, Guido Piovene, Eugenio Montale, Cesare Pavese.
Aus heutiger Sicht war die Anthologie ziemlich vollständig, vielleicht zu reichhaltig, sicher unausgewogen: Fitzgerald wird unterschätzt, Saroyan überschätzt, es finden sich Autoren wie John Fante, die später keinen so bedeutenden Platz mehr in den literarischen Chroniken einnehmen sollten. Aber diese Anthologie wollte keine Geschichte der amerikanischen Literatur sein, sondern der Entwurf einer Allegorie, eine Art Göttliche Komödie, in der Paradies und Hölle zusammenfielen.
Schon 1938 hatte Vittorini geschrieben (Letteratura, 5), die amerikanische Literatur sei eine Weltliteratur mit einer einzigen Sprache, und das Amerikanisch-Sein falle zusammen mit dem Nicht-amerikanisch-Sein, mit dem Freisein von lokalen Traditionen und dem Offen-Sein für die gemeinsame Zivilisation der Menschheit.
In Americana klingt Vittorinis erste Beschreibung der Vereinigten Staaten geradezu homerisch, mit dem Bild der großen Ebenen und der Eisenbahnen, der Schneegebirge und der endlosen Landschaften von Küste zu Küste. Eine lithographische Unschuld a la Courrier und Ives, eine Epik, die von keiner unmittelbaren Evidenz genährt wird, reine intertextuelle Traumphantasie. Sie enthält die gleiche Freiheit, mit der Vittorini seine amerikanischen Autoren übersetzte, alle ins »Vittorinische«, in dem eine teilnehmende Kreativität die philologische Genauigkeit in den Hintergrund drängte. Das Amerika, das Vittorini auf jenen Seiten zeichnete, ist ein prähistorisches Land, erschüttert von Erdbeben und Kontinentaldriften, in dem jedoch anstelle der Dinosaurier und Mammuts die riesenhaften Profile von Jonathan Edwards herrschen, der Rip van Winkle aufweckt, um ihn zu einem epischen Duell mit
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