Die Buecher und das Paradies
Volk steht dem amerikanischen näher durch die Jugend des Blutes und die Reinheit der Wünsche, und kein Volk feiert mit solch andersgearteten Worten die eigene Legende. Die Wege der Korruption und die der Reinheit sind auch hier furchterregend nahe beieinander; doch ein anhaltender Wahn zerrt die Deutschen von ihrer Straße, um sie in schwierige und entmenschende Abenteuer zu stürzen.
Im selben Text heißt es weiter:
Auf der einen wie auf der anderen Seite bemühen sich starke Kräfte, den Gang unserer Erfahrungen zu korrigieren, uns als unnützen Abfall in eine Ecke zu werfen oder heil an irgendein Ufer zu bringen. Doch Amerika wird diesen Krieg gewinnen, denn sein anfänglicher Elan gehorcht wahreren Kräften, und was es sich vornimmt, hält es für leicht und richtig. Keep smiling, >Bewahre
dir dein Lächeln<, dieser Friedens->Slogan< kam aus Amerika mit einem ganzen Gefolge von aufbauender Musik, als Europa ein leeres Schaufenster war und die den totalitären Ländern aufgezwungene Sittenstrenge nur das verbitterte und verzweifelte Antlitz der faschistischen Reaktion enthüllte. Die extreme Simplizität des amerikanischen Optimismus mochte damals jene abstoßen, die überzeugt waren, daß man die Trauer als Zeichen der Menschlichkeit tragen müsse, und jene, die den Stolz auf die eigenen Toten über das Heil der eigenen Lebenden stellten. Doch der große Stolz, den Amerika auf seine heutigen Söhne empfindet, ist das Bewußtsein, daß sie den steilsten Weg der Geschichte gegangen sind, daß sie die Gefahren und Fallen einer fast pausenlosen Entwicklung vermieden haben. Die Bereicherung und die bürokratische Korruption, die gangsters und die Krisen, all das ist Natur geworden in einem Körper, der wächst. Und dies allein ist die Geschichte Amerikas: ein Volk, das wächst, das mit seinem anhaltenden Enthusiasmus die begangenen Irrtümer zudeckt und die künftigen Gefahren in gutem Willen erlöst. Die feindlichsten Kräfte konnten sich auf amerikanischem Boden begegnen, Krankheiten und Elend; aber der Mittelwert dieser Gefahren und Ängste war stets eine Positivität, wiederholte jedesmal die Verherrlichung des Menschen.
Schwer lastet auf der amerikanischen Kultur die Dummheit einer Phrase: materialistische Zivilisation. Produktive Zivilisation: dies ist der Stolz einer Rasse, die ihre Kräfte nicht irgendwelchen ideologischen Strebungen geopfert hat und nicht in die Falle der »geistigen Werte« gegangen ist; statt dessen hat sie aus der Technik ihr Leben gemacht, hat erlebt, wie neue Affekte aus der täglichen Praxis der kollektiven Arbeit entstehen und neue Legenden aus den eroberten Horizonten wachsen. Was immer die romantischen Kritiker denken mögen, eine so zutiefst revolutionäre Erfahrung ist nicht ohne Worte geblieben; und während man im Nachkriegseuropa die Themen einer dekadenten Kultur wiederaufnahm oder sterile Formeln adoptierte, wie die surrealistische, denen keinerlei Zukunft beschert sein kann, drückte Amerika sich in einer neuen Literatur und in einer neuen Sprache aus und erfand das Kino.
Was das amerikanische Kino ist, spüren viele mit jener Ambivalenz aus Sympathie und Verdruß, die als einer unserer unausrottbaren Europäerkomplexe beschrieben, aber vielleicht von niemandem mit der nötigen Entschiedenheit herausgestellt worden
ist. Jetzt, da eine erzwungene Abstinenz uns geheilt hat von den Exzessen der Publizität und vom Überdruß der Gewohnheit, kann man vielleicht die Bedeutung jener Erziehungsphase rekapitulieren und im amerikanischen Kino die größte Botschaft erkennen, die unsere Generation empfangen hat.
Pintor hatte nichts mit der aristokratischen Kritik der Massenmedien im Sinn, die dann typisch für die europäische Linke der Nachkriegszeit wurde. Aus heutiger Sicht könnten wir sagen, er stand Benjamin näher als Adorno.
Das Kino wurde mithin als eine revolutionäre Waffe gesehen, die alle politischen Grenzen niederreißt. Aber auch auf der ästhetischen Ebene lehre das amerikanische Kino, schreibt Pintor weiter, die Welt mit neuen, unschuldigen Augen zu sehen. Es habe Baudelaires Gelübde erfüllt, zu zeigen, »wie jung und schön wir sind mit unseren Lackschuhen und unseren bürgerlichen Krawatten«. Während Deutschland die »Rhetorik der Inaktualität« perpetuiere, habe Amerika keine Friedhöfe zu bewahren, seine Mission sei die Zerstörung der Idole, und die Utopie eines neuen Menschen, bisher nur eine Formel in der marxistischen Ideologie, könne sich
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