Die Buecher und das Paradies
Trajan bewunderte. Die amerikanischen Filme waren für ihn die Literatur des Volkes. Und wie Oreste Del Buono im Almanacco Bompiani 1980 schreibt, in gewisser Weise wiederholte Vittorio, sicher unbewußt und mit anderen Zielen, Gramscis Theorie einer »national-populären Kunst«, nur daß er die Wurzeln des National-Populären im Raum zwischen Sunset Boulevard und Malibu suchte.
Vittorio war kein Intellektueller und auch kein großer Geschäftsmann. Seme Reise nach Amerika, die er antrat, um eine Brücke zwischen den beiden Filmindustrien zu schlagen, endete in einem Fiasko: politische Fehltritte, Sabotage durch die italienischen Behörden (der Vater beobachtete die Unternehmung sehr mißtrauisch), ironische Kommentare in der amerikanischen Presse. Al Roach pflaumte ihn an, er sei doch alles in allem ein braver Junge, warum ändere er nicht seinen Namen?
Aber schauen wir uns einmal an, was für Thesen Vittorio Mussolini vertrat:
Ist es etwa ketzerisch zu behaupten, daß Geist, Mentalität und Temperament der italienischen Jugend, wenn auch mit den logischen und natürlichen Unterschieden, die bei einer anderen Rasse unumgänglich sind, denen der transatlantischen Jugend viel näher stehen als denen der russischen, deutschen, französischen und spanischen? Im übrigen hebt das amerikanische Publikum die Filme mit großen Horizonten, spürt die wahren Probleme, ist angezogen von dem kindlichen, aber glücklichen Gefühl des Abenteuers, und wenn ihm diese Jugend gegeben ist, weil es keine Jahrhunderte voller Geschichte und Kultur, philosophischer Systeme und Gesetze hat, so steht sie derjenigen unserer selbstbewußten Generation gewiß viel näher als denen vieler Länder Europas.
Das war 1936. Und dieses Bild von Amerika blieb gültig bis 1942, als die Amerikaner offiziell Feinde wurden. Aber auch in der heftigsten Kriegspropaganda waren die verhaßtesten Feinde die Engländer, nicht die Amerikaner. Der Rundfunk-Hetzredner Mario Appelius prägte den Slogan Dio stramaledica gli Inglesi (was nicht nur heißt »Gott verfluche die Engländer«, sondern mindestens soviel wie »G. verfluche die E. in alle Ewigkeit«), aber ich erinnere mich nicht an einen ebenso wüsten und weitverbreiteten Slogan gegen die Amerikaner. Im übrigen war die Stimmung im Volk gewiß nicht antiamerikanisch. Vielleicht aber finden wir das interessanteste Anzeichen dieser verbreiteten Stimmung in den Texten der jungen faschistischen Intelligenzia, die für die Zeitschrift Primato schrieb. Primato erschien von 1940 bis 1943, geleitet von einer der widersprüchlichsten Figuren des faschistischen Regimes, Giuseppe Bottai. Liberalfaschist und Antisemit, anglophil und von den deutschen Verbündeten voller Argwohn beobachtet, Autor einer Schulreform, die sich unter anderem auf John Dewey berief, Förderer der Avantgarde und Feind des bombastischen Klassizismus der offiziellen faschistischen Kunst, aristokratischer Verfechter der Ungleichheit unter den Menschen und Gegner der Beteiligung am Spanischen Bürgerkrieg, suchte Bottai die Elite der jungen Kultur der Epoche um die Zeitschrift Primato zu versammeln, indem er auf ihren Seiten Raum für ein Maximum an situationskompatiblem Dissens bot. Unter den Mitarbeitern von Primato finden wir nicht nur die Repräsentanten des liberalen Anti-faschismus (Montale, Brancati, Paci, Contini, Praz), sondern auch die Blüte der künftigen kommunistischen Kultur: Vittorini, Alicata, Argan, Banfi, Della Volpe, Guttuso, Luporini, Pavese, Pintor, Pratolini, Zavattini und so weiter.
Man ist frappiert, wenn man entdeckt, daß im Februar 1941 ein brillanter junger Intellektueller wie Giaime Pintor in der Zeitschrift einen Aufsatz über die »Robo-tisierung« des deutschen Soldaten veröffentlichen konnte, in dem er betonte, daß Europa nie wieder ein freies Territorium sein würde, solange es vom düsteren Schatten der germanischen Fahnen beherrscht blieb. Aufgewachsen unter dem Faschismus, entwickelte Giaime Pintor Tag für Tag, Artikel für Artikel eine luzide und couragierte Kritik der europäischen Diktaturen. 1943, wenige Monate vor seinem Tod im Partisanenkrieg gegen die deutsche Besatzung, schrieb er einen Aufsatz über den Unterschied zwischen Amerika und Europa, den er damals nicht publizieren konnte. Darin heißt es:
... Deutschland hat sich in der Reflexion mehr und mehr als die natürliche Antithese dieser Welt [gemeint ist Amerika] präsentiert und in einem weiteren Sinne als ihr Spiegel in Europa. Kein
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