Die Buecher und das Paradies
der Herumtreiber von Tortilla Fiat. Er liebte Eisenstein, aber er war überzeugt, daß der filmische Realismus durch Mervyn LeRoys Little Ceasar verwirklicht wurde. Er betete Hammett an und fühlte sich verraten, als die hard boiled novel unter die Fuchtel des McCarthyisten Mickey Spillane geriet. Er suchte die Nordwestpassage für einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz auf der Road to Zanzibar mit Bing Crosby, Bob Hope und Dorothy Lamour. Er entdeckte und verbreitete die Epik des New Deal, er liebte Sacco, Vanzetti und Ben Shan, er kannte schon vor den sechziger Jahren (als sie in Amerika wieder berühmt wurden) die Folksongs und Protestballaden der anarchischen Tradition Amerikas, und er hörte abends mit den Freunden Pete Seeger, Woody
Guthrie, Alan Lomax, Tom Jodd und das Kingston Trio. Er war von Vittorinis Americana in den Mythos eingeführt worden, aber jetzt war sein Gutenachtbuch Alfred Kazins On Native Grounds.
So kam es, als die Generation von Achtundsechzig ihren Protest herausließ, womöglich auch gegen Leute wie Roberto, daß Amerika bereits eine Lebensform war, auch wenn keiner dieser jungen Leute die Anthologie Americana gelesen hatte. Und ich spreche hier nicht von den Bluejeans oder dem Chewing-gum, das heißt von dem Amerika, das Europa als Zivilisations- und Konsummodell beherrschte; ich spreche noch immer von jenem Mythos, der in den vierziger Jahren herangereift war und nicht immer im Untergrund wirkte. Gewiß war Amerika als Macht für diese jungen Leute der Feind, der Weltpolizist, der zu bekämpfende Gegner, in Vietnam wie in Lateinamerika. Aber diese Generation saß inzwischen -jedenfalls in Italien - zwischen vier Fronten: Ihre Feinde waren das kapitalistische Amerika, die Sowjetunion, die Lenin verraten hatte, die KPI, die die Revolution verraten hatte, und - zuletzt - das christdemokratische Establishment. Doch obwohl Amerika als Machtapparat und als Modell der kapitalistischen Gesellschaft der Feind war, gab es eine Haltung des Wiederentdeckens und Wieder-eroberns gegenüber Amerika als Volk, als melting pot rebellierender Rassen. Die Achtundsechziger hatten nicht mehr das Bild des marxistischen Amerikaners der dreißiger Jahre im Kopf, den Mann der Lincoln-Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg, den premature anti-fascist, der die Partisan Review las. Sie sahen eher ein labyrinthisches Gelände, auf dem sich die Gegensätze zwischen alt und jung, weiß und schwarz, Neueinwanderern und alteingesessenen ethnischen Gruppen, schweigenden Mehrheiten und laut durcheinanderschreienden Minderheiten engstens miteinander verquickten. Sie fanden keinen wesentlichen Unterschied zwischen Kennedy und Nixon, aber sie identifizierten sich mit dem Campus von Berkeley, mit Angela Davis, mit Joan Baez und dem frühen Bob Dylan.
Es ist schwierig, das Wesen ihres Mythos Amerika zu definieren; in gewisser Weise benutzten und recycelten sie Teile der amerikanischen Realität - die Puertoricaner, die Underground-Kultur, den Zen, nicht mehr die Comics, sondern die Comix, also nicht mehr Mio Mao (Felix the Cat), sondern Fritz the Kat, nicht mehr Walt Disney, sondern Crumbs. Sie liebten Charlie Brown, Humphrey Bogart, John Cage. Ich zeichne hier nicht das Profil einer bestimmten politischen Bewegung zwischen 1968 und 1977. Vielleicht mache ich eher eine Röntgenaufnahme, um etwas zu entdecken, was unter der maoistischen, leninistischen oder guevaristischen Oberfläche weiterlebte. Und ich weiß, daß es dieses Etwas wirklich gab, denn 1977 und danach ist es explodiert. Die Studentenrevolte jener Jahre ähnelte eher einer Revolte im schwarzen Ghetto als der Einnahme des Winterpalasts. Und ich habe sogar den Verdacht, daß das heimliche Vorbild der Roten Brigaden, natürlich unbewußt, die Manson Family ist.
Von der heutigen Generation kann ich naturgemäß nicht mit der gleichen olympischen Distanz wie von jener der dreißiger Jahre sprechen. Ich versuche lediglich, in den Wirren der Gegenwart das Modell eines mythischen Bildes von Amerika zu entdecken. Eines Bildes, das erfunden ist wie die vorausgegangenen und erzeugt durch Kreolisierung.
Amerika ist kein Traum mehr, denn man kann es heute für wenig Geld via Icelandic Airways erreichen.
Der neue Roberto war vielleicht 1968 Mitglied einer marxistisch-leninistischen Gruppe, hat 1970 ein paar Molotowcocktails auf ein amerikanisches Konsulat geworfen, 1972 ein paar Pflastersteine auf die Polizei und 1977 in die Schaufenster einer kommunistischen
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