Die Buecher und das Paradies
Buchhandlung. 1978, nach erfolgreichem Kampf gegen die Versuchung, sich einer terroristischen Gruppe anzuschließen, hat er ein paar Kröten zusammengekratzt und ist nach Kalifornien geflogen, um dort womöglich ökologischer Revolutionär oder revolutionärer Ökologe zu werden. Amerika ist für ihn nicht das Bild einer zukünftigen Erneuerung geworden, sondern der Ort, wo er seine Wunden lecken und sich über einen zerstörten (oder zu früh als tot erklärten) Traum hinwegtrösten kann. Amerika ist nicht mehr eine alternative Ideologie, sondern das Ende der Ideologien. Er hat ohne Schwierigkeiten ein Visum bekommen, denn er ist de facto nie in eine Partei der historischen Linken eingetreten. Würden Pavese und Vittorini heute noch leben, bekämen sie keines, denn sie, die Väter unseres amerikanischen Traums, müßten auf dem grünen Einreiseformular die Frage, ob sie jemals Mitglied einer Partei waren, die den Umsturz der amerikanischen Gesellschaft anstrebte, das Kästchen mit »Ja« ankreuzen. Die amerikanische Bürokratie ist kein Traum. Höchstens ein Alptraum.
Gibt es eine Moral dieser meiner Geschichte? Keine, und viele. Um die italienische Haltung gegenüber Amerika zu verstehen, und besonders die der antiamerikanischen Italiener, wird man sich auch an die Anthologie Americana erinnern müssen und an das, was in jenen Jahren geschah. Als die linken Italiener vom Bild des Genossen Sam träumten, mit ausgestrecktem Finger auf sein Bild zeigten und sagten: I want you.
Die Kraft des Falschen 3
In der Quaestio quodlibetalis XII, 14 antwortet Thomas von Aquin auf die Frage »utrum veritas sit fortior inter vinum et regem et mulierem« - also ob die Wahrheit stärker, überzeugender, zwingender sei als die Macht des Königs, die Wirkung des Weines oder die Reize des Weibes.
Die Antwort des Aquinaten - der den König achtete, an dessen Tafel er, wie ich glaube, ein gutes Glas Wein nicht verschmähte, und der bewiesen hatte, daß er den Reizen des Weibes zu widerstehen vermochte, indem er das nackte Mädchen mit einem brennenden Holzscheit verjagte, das ihm seine leiblichen Brüder in die Kammer geschickt hatten, um ihn dazu zu bewegen, Benediktiner zu werden und nicht die Familie durch das Bettlerhabit der Dominikaner zu entehren - war wie gewöhnlich subtil und ausgefeilt: Wein, Weib, König und Wahrheit sind nicht miteinander vergleichbar, denn non sunt unius generis, sie gehören nicht zur selben Gattung. Aber wenn man sie per comparationem ad aliquem effectum betrachtet, also in Hinblick auf ihre Wirkung, dann sind sie insofern vergleichbar, als sie das menschliche Herz zu Reaktionen bewegen. Der Wein wirkt sich auf unsere körperliche Verfassung aus, indem er uns facit per temulentiam loqui, »durch Trunkenheit sprechen läßt«, und Macht über unsere animalisch-sensible Natur hat die delectatio venerea, die sexuelle Lust, also das Weib (für Thomas war es nicht vorstellbar, daß es sexuelle Impulse umgekehrten Vorzeichens geben könnte, die legitimerweise das Weib erregen, aber man kann von Thomas nicht verlangen, Heloise zu sein). Was den praktischen Intellekt angehe, so sei es offenkundig, daß der Wille des Königs respektive der des Gesetzes eine Macht über ihn habe. Die einzige Kraft aber, die den spekulativen Intellekt bewege, sei die Wahrheit. Und da vires corporales subiiciuntur viribus animalibus, vires animales intellectualibus, et intellectuales practicae speculativis ... ideo simpliciter veritas dignior est et excellentior et fortior 4
So groß also ist die Kraft der Wahrheit. Doch die Erfahrung lehrt uns, daß Wahrheit sich oft mit Verspätung durchsetzt und ihre Anerkennung Blut und Tränen kostet. Kommt es nicht recht häufig vor, daß der Irrtum eine ganz ähnliche Kraft bezeugt, so daß es legitim ist, von einer Kraft des Falschen zu sprechen?
Um darzulegen, daß Falschheit (nicht unbedingt in Form der Lüge, aber gewiß in Form des Irrtums) die bewegende Kraft vieler Ereignisse der Geschichte war, müßte ich mich auf ein Kriterium der Wahrheit berufen. Würde ich dieses jedoch zu dogmatisch wählen, liefe meine Argumentation Gefahr, im selben Moment zu enden, in dem sie beginnt.
Wenn man die Ansicht verträte, daß sämtliche Mythen und sämtliche Offenbarungen aller Religionen nichts als Lügen seien, bliebe nur der Schluß - da der Glaube an Götter jedweder Art die Geschichte der Menschheit voranbewegt hat -, daß wir seit Jahrtausenden unter der Herrschaft des Falschen
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