Die Buecher und das Paradies
haben.
Kreisbewegungen
Nebeleffekte, Labyrintheffekte: Poulet hat von »Metamorphosen des Kreises« gesprochen. 6 Vielleicht hat die Kritik in Sylvie mehr Kreise gesehen, als da sind - den magischen Kreis der Bühne, die konzentrischen Kreise des Tanzes auf der Wiese (den Kreis der von Bäumen umringten Wiese, den des Reigens der Mädchen und schließlich, im Wirbel des Tanzes wie in einem ganz nahen Vordergrund, den der langen goldenen Ringellocken von Adrienne) und beim ersten Fest in Loisy die drei Kreise des Teiches, der Insel und des Tempels. Andere hat sie, scheint mir, bisweilen unterschätzt.
So wird zum Beispiel in Kapitel 9, während des Besuchs im Hause des verstorbenen Onkels, das Wort jardin dreimal im selben Absatz wiederholt. Das ist keine stilistische Nachlässigkeit, es handelt sich um drei Gärten, die drei verschiedenen Epochen angehören, aber konzentrisch angelegt sind, wenn nicht in räumlicher, so doch in einer zeitlichen Perspektive. Es ist, als ob Jerards Auge zuerst den Garten seines Onkels sähe, dann weiter hinten den seiner Kindheit und schließlich in noch weiterer Ferne den der Geschichte (den Garten als Ort antiker archäologischer Funde). So gesehen wird dieser dreifache Garten gleichsam zu einem Miniaturmodell der ganzen Erzählung, aber von ihrem Schlußpunkt aus betrachtet. An einem voller Enttäuschung wiederbesuchten Ort (der Garten ist nur noch ein Haufen Gestrüpp) taucht im Nebel der Erinnerung zuerst die noch erkennbare, wenn auch schon halb verwischte Spur der verzauberten Kinderwelt auf und dann in der Ferne, als Jerard den Garten nicht mehr vor seinem äußeren, sondern vor seinem inneren Auge sieht, ein Echo jener römischen und druidischen Zeiten, die schon zu Beginn der Erzählung evoziert worden sind.
Kreisförmig ist schließlich auch die Bewegung, die Jerard bei jedem seiner Besuche in Loisy vollführt, zuerst, indem er von Paris aufbricht, um nach einem Tag dorthin zurückzukehren, dann, indem er aus dem Dorf aufbricht, um nach einer Waldwanderung über Stock und Stein und Gewässer dorthin zurückzukehren.
Dieses Im-Kreis-Herumlaufen verdient eine genauere Untersuchung, die zunächst nur katasterhaft-penibel anmuten mag, aber sich, glaube ich, lohnt. Ich habe mich entschlossen, eine Karte jener Gegend zu zeichnen (Abbildung 2), eher als Hilfe für den Übersetzer denn für den Leser. Obwohl ich mehrere Karten des Valois vor Augen hatte, bin ich nicht auf Tüfteleien über Längen- und Breitengrade eingegangen, sondern habe versucht, einen Eindruck von den Wechselverhältnissen zwischen Dörfern und Wäldern zu geben. 7 Auf jeden Fall bedenke man, daß es von Luzarches bis Ermenonville in Luftlinie etwa zwanzig Kilometer sind, von Ermenonville bis Loisy drei und von Loisy bis Mortefontaine zwei. In Kapitel 13 heißt es, daß der Tanz auf der Wiese, wo Jerard zum ersten Mal Adrienne sah, vor dem Schloß von Orry stattgefunden habe. Ich identifiziere dagegen die Stätte des ersten und zweiten Balls von Loisy mit den Teichen unmittelbar nördlich von Mortefontaine, wo jetzt die Theve beginnt (die damals offenbar zwischen Loisy und Othys entsprang).
Blickt man beim Lesen auf die Karte, so erscheint einem der Raum wie ein Stück Kaugummi, das bei jeder Rückerinnerung seine Form verändert. Es scheint unmöglich, daß die Postkutsche all die Biegungen macht, die nötig sind, um Jerard in der Nähe von Loisy abzusetzen, aber wer weiß, wie damals die Straßen waren. Der Weg, den Sylvies Bruder in der Nacht von Chaalis nimmt, versetzt die um topographische Nachprüfung bemühten Kommentatoren in Bestürzung, und sie retten sich mit der Bemerkung, der junge Mann sei eben beschwipst gewesen. Mußte man wirklich, wenn man von Loisy nach Chaalis wollte, über Orry fahren und dann den Wald von Halatte berühren? Oder kamen die beiden gar nicht aus Loisy? Manchmal hat es den Anschein, als ob sich Nerval sein eigenes Valois zurechtmacht, dabei jedoch Überschneidungen mit dem von Labrunie nicht vermeiden kann. Im Text heißt es, daß Jerards Onkel in
Montagny lebte, wir wissen jedoch, daß Labrunies Onkel in Mortefontaine wohnte. Wenn wir nun die Passage aufmerksam nachlesen und dabei die Karte verfolgen, stellen wir fest, daß die Sache - wenn Jerards Onkel in Montagny lebt - nicht aufgeht, und sehen uns zu der Annahme gezwungen, daß er in Mortefontaine lebte, es sei denn, daß - im Valois der Erzählung - Montagny genau an der Stelle von Mortefontaine liegt.
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