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Die Buecher und das Paradies

Titel: Die Buecher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Sylvie klöppelt keine Spitzen mehr, sondern fabriziert jetzt Lederhandschuhe mit Hilfe einer »Mechanik«, und die Tante ist gestorben. Der Ausflug nach Chaalis wird kein munterer Querfeldeingang sein, sondern ein langsamer Ritt auf einem Esel, bei dem keine Blumen gepflückt werden, sondern eher ein Bildungswettstreit in einem Klima wechselseitigen Mißtrauens ausgetragen wird. In der Nähe von Saint-S*** muß man auf seine Schritte achten, denn tückische Bäche fließen dort durch die Wiesen.
    Wenn Jerard schließlich im letzten Kapitel noch einmal an jene selben Orte zurückkehrt, findet er auch die lichten Wälder von einst nicht mehr wieder, Chaalis wird restauriert, die für teures Geld ausgehobenen Teiche breiten vergeblich ihr totes Wasser aus, »das der Schwan nun verschmäht«, es gibt keine direkte Straße nach Ermenonville mehr, der Raum ist zu einem noch sinnloseren Labyrinth geworden.
    Die Suche nach umgekehrten Symmetrien könnte noch weitergetrieben werden, und viele haben es getan, bis sich fast spiegelbildliche Verhältnisse zwischen den Kapiteln ergeben haben (zum Teil direkt zwischen dem ersten und dem letzten, dem zweiten und dem vorletzten und so weiter, auch wenn die Entsprechungen nicht einer mathematischen Gesetzmäßigkeit folgen). Sehen wir uns nur die auffälligsten Beispiele an:
    Euphorisch
    1.    Bogenschießen als mythisch ferne Erinnerung
    2.    anmutiger Gruß Adriennes,
    der künftigen Nonne
    3.    kaputte Uhr: Versprechen einer wiederzufindenden Zeit
    Dysphorisch
    14. Bogenschießen als Kinderspiel
    13. anmutiger Gruß Aurelies, der Dame von Welt
    12. kaputte Uhr: Erinnerung an eine verlorene Zeit
    4.    Tanzfest (erster Tanz, Kap. 2):
    -    die Mädchen repräsentieren 1000 Jahre franz.
    Geschichte
    -    Jerard ist der einzige Junge
    beim Tanz
    -    der Kranz für Adrienne wird
    extra geflochten
    -    der Kuß als mystische
    Erfahrung
    -    alle fühlen sich wie im
    Paradies
    5.    verzauberte Waldwanderung allein
    6.    fröhliche Waldwanderung zu zweit und Besuch bei der Tante
    7.    Erscheinung Adriennes als singender Engel
    8.    Tanzfest (zweiter Tanz, Kap. 4):
    -    die Mädchen sind Töchter
    verarmter Adelsfamilien
    -    jeder Junge kommt mit
    einem Mädchen
    -    der Kranz für Sylvie wird
    zufällig erhascht
    -    der Kuß als
    bloße
    Konvention
    -    man ist auf einem alten
    galanten Fest
    9.    depressive Waldwanderung allein
    10.    die Tante gestorben, unfroher Gang nach Chaalis
    11.    vage Erinnerung an Adrienne, Sylvie singt
    Tatsächlich zerbricht das beunruhigende Kapitel »Chaalis« die Symmetrie und trennt die ersten sechs Kapitel von den restlichen sieben. Einerseits haben wir in diesem siebten Kapitel einen Gegensatz zu dem Tanz in Kapitel 4: ein aristokratisches Zeremoniell gegenüber dem Volksfest auf der Insel (es sind keine Jugendlichen da außer auf der Bühne, Jerard und Sylvies Bruder kommen wie Eindringlinge hinzu), ein geschlossener Raum gegenüber dem offenen Raum von Kythera, der düstere Gesang der inzwischen Nonne gewordenen Adrienne gegenüber dem süßen Gesang der noch mädchenhaften
    Adrienne, eine Totenfeier gegenüber einem pervigilium Veneris, die Wiederkehr der Faszination Adriennes gegenüber der Wiedereroberung Sylvies ...
    Darüber hinaus enthält dieses Kapitel Themen der anderen Kapitel, aber traumartig unentscheidbar, neutralisiert. Beiläufig erwähnt werden zum Beispiel das Bogenschießen, die Standuhr, eine Art Schautanz, ein Kranz in Form eines Heiligenscheins aus vergoldeter Pappe und vor allem ein Schwan. Viele Kommentatoren unterstellen, dieser Schwan sei nicht bloß ein Emblem, ein über der Tür eingraviertes oder modelliertes Wappen (wie es der heraldische Terminus éployé nahelegen würde), sondern ein leibhaftiger, über der Tür angenagelter Schwan. Das scheint mir zuviel, auch wenn in einem Traum alles möglich ist, aber auf jeden Fall taucht dieser Schwan auf halbem Wege zwischen dem lebendigen, triumphierend auffliegenden Schwan in Kapitel 4 und dem nicht mehr anwesenden in Kapitel 14 auf.
    Man hat von »Ritualen der Degradierung« gesprochen, aber man braucht die Symmetrien gar nicht freizulegen, um sie zu erkennen, sie wirken gleichsam hinter dem Rücken des Lesers, jede Wiederkehr eines schon einmal angesprochenen Motivs erzeugt ein Gefühl von déjà vu, aber man bemerkt nur, daß einem etwas weggenommen worden ist, was man glaubte gehabt zu

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