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Die Buecher und das Paradies

Titel: Die Buecher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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kollektiven Konsens könnte dann eine von Wilde gesagte Wahrheit hoffen? Und da »in allen unbedeutenden Dingen das wesentliche der Stil, nicht die Ernsthaftigkeit ist und in allen bedeutenden Dingen das wesentliche der Stil, nicht die Ernsthaftigkeit«, ist es richtig, von Wilde keine strenge Unterscheidung zwischen Paradoxa (wahren), Aphorismen (trivialen) und kanzerisierbaren (also falschen oder jedes Wahrheitswertes baren) Aphorismen zu verlangen. Was er zur Schau stellt, ist eine regelrechte Sentenzenwut, ein furor sententialis (und somit eine wohltuende rhetorische Inkontinenz), nicht eine philosophische Passion.
    Auf einen Aphorismus hätte Wilde allerdings geschworen, und darauf hat er im Grunde sein Leben gesetzt: »Alle Kunst ist gänzlich nutzlos.«
    1
    Salvatore Battaglia, Grande dizionario della lingua italiana, Turin, UTET, 1984, Bd. XII, s. v. »Paradosso« (A. d. U.).
    2
    »Pitigrilli: l’uomo che fece arrossire la mamma«, in II superuomo di massa, 2. ed., Milano, Bompiani, 1978. [Pitigrilli, eigentlich Dino Segre, 1893 - 1975, italienischer Journalist und Autor vielgelesener drastisch-satirisch-erotischer Gesellschaftsromane, A. d. Ü.]
    3
    Zitiert nach der italienischen Ausgabe Pensieri spettinati, Mailand, Bompiani, 1984 [dt. Alle unfrisierten Gedanken, hrsg. von Karl Dedecius, Hanser 1982, A. d. Ü.].
    Eco zitiert aus der Buchfassung von 1891, die sechs Kapitel mehr als die 1890 veröffentlichte Fassung in Lippincott’s Monthly Magazine enthält. In deutschen Übersetzungen, die dem Erstdruck folgen, wie die von Christine Koschel und Inge v. Weidenbaum in der Werkausgabe von Rainer Gruenter, Hanser 1970, oder die von Jörg W. Rademacher, Eichborn 2000, sind dieses und die folgenden Zitate daher nicht zu finden (A. d. Ü.).
       Dies kehrt den Gemeinplatz um,    daß Schönes und Gutes aus edlen
    Motiven getan wird, aber es läßt    sich auch so umkehren: Wenn ein
    Mann etwas besonders Edles    tut, handelt er stets aus den
    dümmsten Motiven.
    4
       Dies kehrt zwar einen Gemeinplatz um, aber es geht weiter mit: »Doch niemand anerkennt bereitwilliger als ich, daß es besser ist, gut zu sein, als häßlich zu sein«, womit es auf einen Gemeinplatz rekurriert, der banaler nicht sein kann, von der Sorte, die unsere TV-Talkmaster lieben: »Lieber schön, reich und gesund als häßlich, arm und krank.«

A portrait of the artist as a bachelor 1
    Vermutlich bin ich der am wenigsten geeignete Festredner für eine Feier zum Gedenken der Verleihung des Bachelor of Arts an Joyce, hatte es doch in einem Artikel des St. Stephen’s Magazine von 1901 geheißen, Joyce sei durch die Ideen aus Italien verdorben worden. Aber nicht ich war es, der diese Gedenkfeier gewünscht hat, die Verantwortung trägt das University College. Was den Titel meines Vortrags angeht, so ist mein intertextuelles Spiel kein besonders geistreiches, aber ich bin ja auch nur ein playboy of the southern world.
    Dennoch fühle ich mich durch den gewählten Titel ein wenig beengt: Ich hätte gern auch von jenen Zeiten gesprochen, als Jim auf dem Clongowes Wood College sein Alter mit »I am half past six« angab. Aber schweifen wir nicht ab und befassen wir uns mit Joyce in seiner Eigenschaft als bachelor.
    Vermutlich wissen Sie alle, daß bachelor in vielen zeitgenössischen Studien über Semantik ein magisches Wort geworden ist, das sich von einem Autor zum anderen weitervererbt als schlagendes Beispiel für einen mehrdeutigen Begriff, der mindestens vier verschiedene Bedeutungen hat. Ein bachelor ist a) ein noch unverheirateter junger Mann, b) ein angehender Ritter im Dienst eines älteren, c) ein Träger des niedrigsten akademischen Grades und d) eine männliche Robbe, die in der Paarungszeit noch kein Weibchen gefunden hat. Roman Jakobson hat jedoch darauf hingewiesen, daß diese vier Homonyme trotz ihrer Bedeutungsunterschiede einen gemeinsamen Grundsinn von Unvollständigkeit oder zumindest Unfertigkeit haben. Ein bachelor ist somit in jedem Fall einer, der noch nicht zur vollen Reife gelangt ist. Der junge Mann ist noch kein Gatte und reifer Familienvater, der Knappe ist noch nicht zum Ritter geschlagen, der BA ist noch kein PhD, und die arme männliche Robbe hat noch nicht die Freuden der Liebe entdeckt.
    Zu der Zeit, als unser Jim das University College verließ, war er noch ein unvollständiger Joyce, insofern er noch nicht jene Werke geschrieben hatte, ohne die Joyce nur ein arroganter Debütant geblieben wäre.

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