Die Buecher und das Paradies
Allerdings möchte ich hier herausstellen, daß Jim am Ende seiner Studien nicht so unfertig war, wie man glauben möchte, und daß es gerade jene Jahre waren, in denen er mit seinen ersten Schreibversuchen sehr klar die Richtungen eingeschlagen hatte, die er dann in reifem Alter weiterverfolgen sollte.
Er hatte seine Studien 1898 damit begonnen, daß er Englisch bei Pater O’Neill lernte, einem leidenschaftlichen Parteigänger der Bacon-Shakespeare-Kontroverse, Italienisch bei Pater Ghezzi und Französisch bei Edouard Cadic. Es war die Epoche der neothomistischen Studien, jener, die oft den kürzesten Weg zu einem Mißverständnis des Aquinaten weisen, aber sicherlich hatte Jim im College, noch vor den Aufzeichnungen im Pola und im Paris Notebook, etwas von Thomas verstanden. Hatte er doch zu Stanislaus gesagt, Thomas von Aquin sei ein sehr komplexer Denker, denn was er sage, gleiche genau dem, was die gewöhnlichen Leute sagen oder gern sagen würden - und das heißt für mich, daß er sehr viel, wenn nicht alles von der thomistischen Philosophie verstanden hatte.
In seinem Vortrag Drama and Life, den er am 20. Januar 1900 vor der Literary and Historical Society des University College hielt, kündigte Joyce die Poetik der Dubliners an: »Dennoch glaube ich, daß der tristen Monotonie des Daseins Teile vom Drama des Lebens abzugewinnen sind. Auch der größte Gemeinplatz, auch der Abgestorbenste unter den Lebenden kann eine Rolle in diesem großen Drama spielen.«
In seinem Aufsatz Ibsen’s New Drama, den er am
1. April 1900 in der Fortnightly Review veröffentlichte, können wir jenen Grundgedanken der Unpersönlichkeit des Künstlers erkennen, den wir im Portrait wiederfinden werden. Ibsen betrachte sein dramatisches Werk, schreibt der 18jährige Joyce, »in regelmäßigen langen Abständen wie aus einer gewaltigen Höhe, mit einer vollkommenen Sicht und einer engelhaften Unparteilichkeit, mit der Sicht dessen, der offenen Auges in die Sonne schauen kann«, und im Portrait wird es heißen, der Künstler bleibe »wie der Gott der Schöpfung . in oder hinter oder jenseits oder über dem Werk seiner Hände, unsichtbar, verfeinert bis zum Verschwinden, gleichgültig, nur damit beschäftigt, sich die Nägel zu maniküren.«
In dem Vortrag James Clarence Mangan, den er am 15. Februar 1902 wiederum vor der Literary and Historical Society hielt und dann in der Mai-Nummer des St. Stephen’s Magazine veröffentlichte, lesen wir: »Schönheit, der Glanz der Wahrheit, ist eine Gnadenerscheinung [graciouspresence], wenn die Imagination gesammelt und angespannt die Wirklichkeit ihres eigenen Seins oder die sichtbare Welt betrachtet, und der Geist, der aus Wahrheit und Schönheit hervorgeht, ist der heilige Geist der Freude. Das sind Realitäten, und sie allein geben und erhalten das
Leben.« Hier haben wir ohne Zweifel den ersten Keim des Begriffs der Epiphame, wie er in späteren Schriften entwickelt werden wird.
In The study of languages, einem Aufsatz aus dem ersten Studienjahr (1898 - 99), finden wir eine eindrucksvolle These, die der Struktur des Ulysses zugrunde liegt: Der junge Autor spricht von einer Sprache der Kunst und sagt, sie erhebe sich »über die Härte, die für platte, nicht gehobene Aussagen hinreicht, durch den zusätzlichen Einfluß dessen, was schön ist an ergreifenden Formulierungen, am Aufschwellen von Worten, an Sturzbächen von Schmähungen, an Tropen und Abwandlungen und Figuren, wobei jedoch selbst in Augenblicken höchster Emotion eine naturgegebene Symmetrie bewahrt bleibt.«
Aus demselben Text können wir sogar ein fernes Echo von Finnegans Wake und der künftigen Vico-Lektüre heraushören, wenn Joyce schreibt: »In der Geschichte der Wörter ist vieles enthalten, was auf die Geschichte der Menschen verweist, und wenn wir die heutige Sprache mit derjenigen vor vielen Jahren vergleichen, haben wir eine brauchbare Illustration dafür, wie sich äußere Einflüsse bis in die Wörter eines Volkes hinein auswirken.«
Auch Joyces grundlegende Obsession, die Suche nach einer Wahrheit der Kunst durch das Manövrieren mit allen Sprachen der Welt, zeigt sich in einem anderen Abschnitt dieses frühen Aufsatzes, wenn Jim noch im ersten Studienjahr schreibt: »Die höheren Ränge der Sprache, Stil, Syntax, Poesie, Beredsamkeit und Rhetorik sind wiederum, in welcher Weise auch immer, die Vorreiter und Vertreter der Wahrheit.«
Wenn es wahr ist, daß jeder Autor sein ganzes Leben lang eine
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