Die Buecher und das Paradies
einzige keimhafte Idee entwickelt, dann scheint das für Joyce besonders zu gelten: Noch nicht bachelor, wußte er bereits genau, was er tun mußte, und hat es hier in diesen Mauern ausgesprochen, wenn auch nur beiläufig und eher naiv. Oder, wenn Sie so lieber wollen: Er hatte beschlossen, aus seinem reifen Alter das zu machen, was vorauszusehen ihm während des Studiums in diesen Aulen gelungen war.
In seinem ersten Studienjahr hatte er über die Repräsentation der Wissenschaften in Santa Maria Novella nachgedacht und war zu dem Schluß gekommen, die Grammatik müsse »die primäre Wissenschaft« sein. Also widmete er einen großen Teil seines Lebens der Erfindung einer neuen Grammatik, und die Suche nach Wahrheit wurde für ihn zur Suche nach einer vollkommenen Sprache.
In diesem Jahr, in dem Dublin als Kulturhauptstadt Europas gefeiert wird, ist es angebracht, über die Tatsache nachzudenken, daß die Suche nach einer vollkommenen Sprache ein typisch europäisches Phänomen war und weiterhin bleiben wird. Europa hat sich aus einem einzigen Kern von Sprachen und Kulturen entwickelt (aus der griechisch-römischen Welt) und ist dann in verschiedene Nationen mit verschiedenen Sprachen auseinandergefallen. Die alte Welt hatte sich weder um das Problem einer vollkommenen Sprache noch um das der Sprachenvielfalt gekümmert. Die hellenistische koine und später das Latein der Kaiserzeit gewährleisteten ein zufriedenstellendes universelles Kommunikationssystem vom Mittelmeerraum bis zu den Britischen Inseln. Die beiden Völker, welche die Sprache der Philosophie und die Sprache der Gesetze erfunden hatten, setzten die Strukturen ihrer Sprache mit den Strukturen der menschlichen Vernunft gleich. Für die Griechen war das Griechische die Sprache schlechthin. Alle anderen Menschen waren Barbaren, das heißt Leute, die unverständliches Zeug stammelten.
Der Fall des Römischen Reiches markierte den Anfang einer Periode sprachlicher und politischer Teilung. Das Latein verwilderte. Die Barbaren mit ihren Sprachen und Gebräuchen strömten herein. Die Hälfte der römischen Besitzungen ging an die Griechen des Ostreichs. In Teilen Europas und im ganzen Mittelmeerraum begann man Arabisch zu sprechen. An der Schwelle des neuen Jahrtausends bildeten sich jene Nationalsprachen, die wir noch heute auf diesem Kontinent sprechen.
Genau in diesem historischen Augenblick begann nun die christliche Kultur, die biblische Geschichte von der Sprachverwirrung nach dem Fall des Turms zu Babel neu zu lesen. Erst in diesen Jahrhunderten fing man an, von der Wiederentdeckung oder Neuerfindung einer vor-babelschen Sprache zu träumen, einer gemeinsamen Sprache der ganzen Menschheit, die fähig sein müßte, das Wesen der Dinge durch eine Art von angeborener Homologie zwischen Dingen und Worten auszudrücken. Die so bestimmte Suche nach einem universalen Kommunikationssystem ist seither und bis heute in verschiedenen Formen betrieben worden - manche haben versucht, zeitlich zurückzugehen, um die Sprache wiederzufinden, die Adam mit Gott gesprochen hat, andere sind vorwärts gegangen im Versuch, eine Sprache der Vernunft zu konstruieren, ausgestattet mit jener verlorenen Vollkommenheit, die Adams Sprache gehabt haben mußte. Man hat versucht, Vicos Ideal zu folgen und eine allen Völkern gemeinsame Sprache des Geistes zu finden. Internationale sogenannte »Welthilfssprachen« wie das Esperanto wurden erfunden, und man arbeitet noch an der Konstruktion einer language of mind, die Menschen und Computern gemeinsam sein soll ...
Gleichwohl hat es im Laufe dieser Suche auch Fälle gegeben, in denen jemand behauptete, die einzige wahrhaft vollkommene Sprache sei die von ihm und seinen Landsleuten gesprochene. So hat Georg Philipp Hars-dörffer im 17. Jahrhundert behauptet, Adam habe nicht anders als deutsch sprechen können, da nur im Deutschen die Wörter das Wesen der Dinge vollendet zum Ausdruck brächten (später sollte Heidegger sagen, man könne nur auf deutsch philosophieren - und sonst allenfalls noch auf griechisch). Für Antoine de Rivarol (Discours sur l’universalité de la langue française, 1784) war das Französische die einzige Sprache, in der die syntaktische Struktur der Sätze die authentische Struktur der menschlichen Vernunft widerspiegele, und darum sei es die einzige logische Sprache der Welt (das Deutsche sei zu kehlig, das Italienische zu süß, das Spanische zu redundant, das Englische zu dunkel).
Bekanntlich ist Joyce
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