Die Buecher und das Paradies
Konzeption seiner eigenen Rolle als Restaurator einer vollkommenen Sprache erklärt sich, warum Dante in De vulgari eloquentia, anstatt die Vielfalt der Sprachen zu beklagen, ihre gleichsam biologische Kraft hervorhebt, ihre Fähigkeit, sich im Laufe der Zeit zu erneuern. Gerade aufgrund dieser sprachlichen Kreativität kann er sich vornehmen, eine perfekte moderne und natürliche Sprache zu konzipieren und zu erfinden, ohne sich auf verlorene Vorbilder zu beziehen. Wenn Dante geglaubt hätte, daß die ursprüngliche Sprache mit dem Hebräischen identisch sei, hätte er ohne Zweifel beschlossen, Hebräisch zu lernen und seine Dichtung in der Sprache der Bibel zu schreiben. Doch eine solche Möglichkeit hat er nie in Erwägung gezogen, da er sicher war, durch eine Perfektionierung der verschiedenen italienischen Dialekte jene universale Sprache finden zu können, für welche die hebräische Sprache nur die ehrwürdigste Inkarnation gewesen war.
Viele der arroganten Behauptungen des jungen Joyce scheinen auf dieselbe Aufgabe anzuspielen: auf eine Wiederherstellung der Bedingungen einer vollkommenen Sprache durch die eigene dichterische Erfindung, auf das Ziel, »das ungeschaffne Gewissen meines Volkes zu schmieden«, das heißt eine Sprache zu formen, die nicht willkürlich wie die gewöhnliche Sprache, sondern notwendig und motiviert ist. In diesem Sinne hatte der junge bachelor Dantes Idee vollständig und auf mysteriöse Weise verstanden und ist ihr sein Leben lang auf den Fersen geblieben.
Allerdings bestand Dantes Projekt, wie jedes andere Projekt einer vollkommenen Sprache, darin, eine Sprache zu finden oder zu schaffen, die der Menschheit erlauben sollte, dem nachbabylonischen Labyrinth zu entkommen. Man kann, wie es Dante getan hat, die Pluralität der Sprachen positiv sehen, aber eine vollkommene Sprache müßte klar und evident sein, nicht labyrinthisch. Im Gegensatz dazu scheint Joyces Projekt, je weiter er sich von seiner ersten thomistischen Ästhetik entfernt und der in Finnegans Wake ausgedrückten Sicht der Welt annähert, darin zu bestehen, das Chaos nach Babel nicht durch dessen Ablehnung zu überwinden, sondern indem er es als die einzige Möglichkeit anerkennt. Joyce hat niemals versucht, sich vor oder hinter dem Turm von Babel anzusiedeln, er hat in ihm leben wollen - und man kann sich fragen, ob die Entscheidung, den Ulysses auf der Spitze eines Turms beginnen zu lassen, nicht eine unbewußte Vorwegnahme seines Endziels ist, nämlich einen polyglutturalen und multilingualen Schmelztiegel zu erzeugen, der nicht das Ende, sondern den Triumph der babylonischen Sprachverwirrung darstellt.
Was könnte der ferne Ursprung einer solchen Entscheidung gewesen sein?
In der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts war in Irland eine Abhandlung über Grammatik erschienen, die den Titel Auraicept na n-Eces (»Fibel der Gelehrten«) trug. Ihr Grundgedanke war, daß man, um das Modell der lateinischen Grammatik ans Irische anzupassen, die Struktur des Turms zu Babel nachahmen müsse: So wie es acht oder neun (je nach den Versionen des Textes) Wortarten gebe, nämlich Nomen, Pronomen, Verb, Adverb und so weiter, so seien beim Bau des Turms acht oder neun Grundmaterialien verwendet worden: Wasser, Blut, Ton, Holz und so weiter. Warum diese Parallele? Weil die zweiundsiebzig Gelehrten der Schule von Fenius Farrsaid, die zehn Jahre nach dem Chaos von Babel die erste Sprache entworfen hatten (und es versteht sich von selbst, daß diese Sprache das Gälische war), ein Idiom zu konstruieren versuchten, das wie die ursprüngliche Sprache nicht nur dem Wesen der Dinge homolog sein, sondern auch imstande sein sollte, das Wesen aller anderen nach Babel entstandenen Sprachen zu berücksichtigen. Inspiriert war dieses Vorhaben von Jesaja 66,18: »Ich werde kommen, um alle Völker und alle Zungen zu versammeln.« Die benutzte Methode bestand darin, aus jeder Sprache das Beste auszuwählen, indem man die anderen Sprachen sozusagen zerlegte und die Bruchstücke zu einer neuen, nun vollkommenen Struktur zusammenfügte. Man ist versucht zu sagen, mit diesem Vorgehen seien die zweiundsiebzig Gelehrten wahre Künstler gewesen, denn wie Joyce erklärt: »der Künstler, der die feingesponnene Seele des Bildes aus dem Netzwerk der sie bestimmenden Zusammenhänge am exaktesten herauslösen und sie in künstlerischen Zusammenhängen wiederverkörpern konnte, die als die für sie in ihrem neuen Amt exaktesten gewählt waren, der war der
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