Die Buecher und das Paradies
streben, so eindeutig wie irgend möglich gelesen zu werden. Man denke nur an das chemische Symbol oder an bestimmte Verwendungen des Symbolbegriffs zur Bezeichnung der Konventionalität des sprachlichen oder grammatikalischen Zeichens, im Gegensatz zur fluktuierenden Offenheit des Ikons.
Man könnte behaupten, daß auch die logischen Symbole etwas von der Offenheit dessen haben, was wir seit der Romantik als symbolisch im dunklen und vieldeutigen Sinne des Wortes verstehen. Denn sie repräsentieren ja Variablen, und als solche müßten sie bereit sein, sich mit den unvorhergesehensten Inhalten füllen zu lassen. Denken wir beispielsweise an eine Formel der symbolischen Logik wie »Wenn p, dann q«. Man sollte denken, daß p und q mit jedem beliebigen Inhalt gefüllt werden könnten, aber dem ist nicht so. Nehmen wir an, ich setze an die Stelle von p die gesamte Göttliche Komödie und an die Stelle von q die Aussage sechs mal sechs macht sechsunddreißig. Nach den Gesetzen der materiellen Implikation wäre das Ergebnis ein wahrer Satz. Aber es ist unmöglich, die Reihenfolge der beiden Glieder umzukehren. Würde ich die Göttliche Komödie an die Stelle von q setzen, dann wäre die Folgerung - da die Gesamtmenge von Aussagen, die durch Dantes Diskurs gebildet wird, aus einer funktionalen Wahrheitssicht falsch ist (es ist nicht wahr, daß ein Florentiner zu Lebzeiten ins
Paradies gelangt ist oder daß der Fährmann Charon existiert) - nach denselben Gesetzen der materiellen Implikation eine falsche Folgerung, obwohl sie eine wahre Prämisse hätte. Dagegen würde alles funktionieren, wenn wir anstelle von sechs mal sechs macht sechsunddreißig den Gesamttext von Mein Kampf setzen würden, insofern als - nach dem bekannten Paradox der materiellen Implikation - falsch und falsch etwas Wahres ergeben. Daher ist es müßig, semiotische Seiltänzerkunststücke zu versuchen, um eine Verwandtschaft zwischen dem logischen Symbol und dem dunklen Symbol der romantischen Ästhetiken zu finden. Sie unterscheiden sich in der Funktionsweise, in der Syntax und im Wahrheitsstatus.
Ebenso hat die Art, wie Cassirer in seiner Theorie der symbolischen Formen den Begriff verwendet, nichts mit dem zu tun, was wir darunter verstehen. Bei Cassirer handelt es sich um eine kulturtheoretische Version des Kantischen Transzendentalismus, und eine symbolische Form ist sogar die euklidische Geometrie, in der wir das Gefühl des Unendlichen und des Unentscheidbaren nur längs der Flucht jener Parallelen verspüren, die uns das euklidische Parallelenaxiom in einer alethiologisch unentscheidbaren Weise verspricht.
Wir könnten uns an eine vernünftige Entscheidung halten, die im übrigen zu einer Vielzahl von Alltagserfahrungen paßt: Das Symbol ist gleichsetzbar mit der Existenz zweiter Bedeutungsschichten, die es in jeder Sprache gibt. Dies ist der Weg, den Todorov in seinem Buch über das Symbol gewählt hat. Aber wenn wir das Symbol mit jeder Instanz einer zweiten Bedeutung identifizieren, geraten wir in Gefahr, einige voneinander sehr verschiedene Phänomene zu verwechseln.
So gibt es zwei Bedeutungsschichten in der doppelsinnigen Rede, deren klassisches Beispiel das Rätsel ist. Aber strukturiert sind diese beiden Schichten, oft auf der Basis verräterischer Homonymien, nach zwei klar definierbaren und zweifelsfrei aufspürbaren Isotopien. Der Doppelsinn muß wie eine kodierte Nachricht dechiffriert werden, aber wenn das einmal geschehen ist, hat man unbestreitbar und ohne Vorbehalt zwei Bedeutungen.
Nicht zur Ordnung des Symbolischen gehört die Metapher. Sie kann für vielerlei Interpretationen offen sein, sie kann sich sozusagen auf der Linie der zweiten oder dritten Isotopie, die sie erzeugt, fortsetzen. Aber es gibt Regeln für ihre Interpretation: Wenn Dante von unserem Planeten sagt, er sei »das Beet, das uns so wild macht« 4 , kann das tausend poetische Folgerungen nahelegen, aber es wird niemanden überzeugen, wenn es von allen geteilte kulturelle Konventionen gibt, nach welchen die Erde ein Ort des Friedens und Wohlgefallens ist. Im übrigen gehöre ich noch immer zu denen, die das erste Signal für metaphorischen Gebrauch in der Tatsache sehen, daß der metaphorische Ausdruck, wenn man ihn wörtlich nimmt, entweder falsch oder bizarr oder sinnlos klingt (die Erde ist kein Beet). Anders verhält es sich meines Erachtens beim symbolischen Modus, der, wie wir sehen werden, sein Sinnpotential gerade hinter dem täuschenden
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