Die Buecher und das Paradies
Anschein einer unerklärbaren Offensichtlichkeit verbirgt.
Erst recht nicht zur Ordnung des Symbolischen gehört die Allegorie, ein erweiterter Doppelsinn, der sich nicht auf Homonymie gründet, sondern auf eine fast heraldische Kodifizierung bestimmter Bilder.
Die moderne westliche Tradition ist inzwischen gewohnt, zwischen Allegorie und Symbolik zu unterscheiden, aber diese Unterscheidung ist relativ späten Datums, sie hat sich erst seit der Romantik durchgesetzt, in jedem Fall mit den berühmten Aphorismen von Goethe (Maximen und Reflexionen) :
Die Allegorie verwandelt die Erscheinung in einen Begriff, den Begriff in ein Bild, doch so, daß der Begriff im Bilde immer noch begrenzt und vollständig zu halten und zu haben und an demselben auszusprechen sei (749).
Die Symbolik verwandelt die Erscheinung in Idee, die Idee in ein Bild, und so, daß die Idee im Bild immer unendlich wirksam und unerreichbar bleibt und, selbst in allen Sprachen ausgesprochen, doch unaussprechlich bliebe (759).
Es ist ein großer Unterschied, ob der Dichter zum Allgemeinen das Besondere sucht oder im Besondern das Allgemeine schaut. Aus jener Art entsteht Allegorie, wo das Besondere nur als Beispiel, als Exempel des Allgemeinen gilt; die letztere aber ist eigentlich die Natur der Poesie; sie spricht ein Besonderes aus, ohne ans Allgemeine zu denken oder darauf hinzuweisen. Wer nun dieses Besondere lebendig faßt, erhält zugleich das Allgemeine mit, ohne es gewahr zu werden, oder erst spät (279).
Das ist die wahre Symbolik, wo das Besondere das Allgemeinere repräsentiert, nicht als Traum und Schatten, sondern als lebendig-augenblickliche Offenbarung des Unerforschlichen (314).
In Antike und Mittelalter wurden dagegen »Symbol« und »Allegorie« als Synonyme verstanden. Die Beispiele reichen von Philon von Alexandria bis zu Grammatikern wie Demetrios, von Clemens von Alexandria bis zu Hippolytos von Rom, von Porphyrios bis zum PseudoDionysius Areopagita, von Plotin bis Jamblichos, bei denen der Ausdruck Symbol auch für jene didaskalischen und sinnbildlichen Darstellungen benutzt wird, die anderswo Allegorien genannt werden.
Wahr ist, daß man von »symbolischem Universum« für die Welt des Hochmittelalters gesprochen hat, von einem Universum, in dem nach den Worten des Johannes Eriugena (De divisione naturae, V, 3) nihil enim visibilium rerum corporaliumque est, ut arbitror, quod non incorporale quid et intelligibile significet (»von den sichtbaren und körperlichen Dingen ist keines, denke ich, das nicht etwas Unkörperliches und Intelligibles bedeutet«). Die Welt wäre demnach, wie später Hugo von Sankt Viktor sagen wird, quasi quidam liber scripto digito Dei (»gleichsam ein von Gottes Hand geschriebenes Buch«). Sollte also ein Universum, in dem nostrum statum pingit rosa (»unseren Status stellt die Rose dar«, Pseudo-Alanus, Rhythmus alter) nicht von Symbolen erfüllt gewesen sein?
Folgt man Johan Huizinga (Herbst des Mittelalters, Kap. 15), so ähnelte das symbolische Universum des Mittelalters dem der Correspondances von Baudelaire:
Es gibt keine große Wahrheit, deren der mittelalterliche Geist gewisser war, als jener des Wortes an die Korinther: »Videmus nunc per speculum in aenigmate, tunc autem facie ad faciem.« (»Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Wort, dann aber von Angesicht zu Angesicht.«) - Man übersah niemals, daß jedes Ding ohne Sinn sein würde, wenn seine Bedeutung sich in seiner unmittelbaren Funktion und Erscheinungsform erschöpfte, daß alle Dinge ein gutes Stück in die jenseitige Welt hineinragen. Solches Wissen ist auch uns als unformuliertes Gefühl noch jeden Augenblick vertraut, wenn etwa das Geräusch des Regens auf den Blättern der Bäume oder der Schein der Lampe über dem Tisch in einer stillen Stunde hindurchdringt zu einer tieferen Wahrnehmung als der alltäglichen, die dem praktischen Denken und Handeln dient. Sie mag bisweilen in der krankhaften Form einer Zwangsvorstellung auftreten, der die Dinge wie von einer drohenden persönlichen Bedeutung oder von einem Rätsel schwanger erscheinen, das man kennen müßte und nicht kennen kann. Häufiger aber wird sie uns mit der ruhigen und stärkenden
Gewißheit erfüllen, daß auch unser eigenes Leben in jenen geheimnisvollen Sinn der Welt verwoben ist.
Dies ist freilich die Interpretation dessen, der bereits an den Grenzen seines Landes die Schemen von Verlaine und Rimbaud hat auftauchen sehen, umherirrend als
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