Die Buecher und das Paradies
Jahrhunderten, von denen uns Camporesi erzählt? Warum gibt es dann immer noch und gerade heute so viele satanische Sekten, so viele Blutkulte, die sogar im Internet für sich werben?
Haben wir das Problem unserer Beziehungen zum Blut gelöst? Sicher, wir ergötzen uns nicht mehr an öffentlichen Vierteilungen, bei denen das Blut in Strömen fließt. Aber während ich dies schreibe, berichten die italienischen Zeitungen von einer Madonna, die Bluttränen weint. Aberglauben, gewiß, aber ist es nicht auch
Aberglauben bei jenen vielen charismatischen Sekten, die ihre Gläubigen zu einem Blutbad treiben? Welches Verhältnis besteht zwischen den Bluttränen weinenden Madonnen und dem Blutdurst, der das Massaker an Sharon Tate beherrscht hat?
Darum geht es: Camporesi rekonstruiert Gebräuche, Gefühle, Arten des Schreckens und der Liebe, die wir für uralt hielten, und fordert uns auf, in uns hineinzuschauen. Um die dunkle Beziehung zwischen den Mythen und Riten der Vergangenheit und unseren heutigen Trieben zu verstehen. Um den uralten Menschen zu entdecken, der in uns steckt, in uns, die wir das Internet benutzen und meinen, Blut interessiere nur die Chirurgen und die Erforscher der neuen planetarischen Pestilenzen.
Vielleicht muß Camporesi in kleinen Dosen gelesen werden, weil wir uns sonst alle fragen würden: Wer sind wir bloß, wir zivilisierten Menschen?
Dieses Buch ist kurz. Lesen wir Camporesi in homöopathischen Dosen. Für den Augenblick reicht das. Aber dann wollen wir vielleicht auch seine anderen Bücher lesen. 1
Über das Symbol 2
Ich weiß schon, beim Thema des Symbols wird alles, was immer ich dazu sage, durch einen hochgelehrten Artikel meines Freundes Briosi widerlegt werden. Außerdem habe ich diesem Thema schon einige Schriften gewidmet, namentlich einen Artikel in der Enciclopedia Einaudi, der jetzt ein Kapitel meines Buches Semiotik und Philosophie der Sprache 2 geworden ist. Sei’s aufgrund von Vergreisung, sei’s aufgrund der Fortdauer einer jugendlichen Hybris - ich denke nicht, daß ich meine Ansichten über dieses Thema geändert habe. Sich ständig weiterzuentwickeln ist eine empfehlenswerte Praxis, an die ich mich häufig halte, manchmal bis an die Grenzen der Schizophrenie. Aber es gibt Fälle, in denen man nicht demonstrieren muß, daß man seine Ansichten geändert hat, bloß um zu zeigen, daß man auf der Höhe der Zeit ist. Auch im Bereich der Ideen ist Monogamie nicht immer ein Zeichen für fehlende Libido.
Um nicht zu wiederholen, was ich andernorts über das Symbol gesagt habe, mochte ich hier einen besonderen und sehr aktuellen Aspekt dieser vexata quaestio behandeln, nämlich das Phänomen der Symbol-Paranoia. Zu diesem Zweck muß ich jedoch auf einen Teil des schon
Gesagten zurückgreifen, und so erscheint die Paralipse am Ende hypertroph.
Symbol ist ein Wort, bei dem ich meinen Studenten immer empfehle, es sehr sparsam zu verwenden und es zu unterstreichen, wo sie es finden, um dann nach dem Kontext zu entscheiden, welche Bedeutung es jeweils annimmt. Tatsächlich weiß ich nicht mehr so recht, was ein Symbol ist. Ich habe versucht, den symbolischen Modus als eine besondere Textstrategie zu definieren. Doch außerhalb dieser Textstrategie - auf die ich später zu sprechen komme - kann ein Symbol entweder etwas sehr Klares sein (ein eindeutiger Ausdruck mit definierbarem Inhalt) oder etwas sehr Dunkles (ein vieldeutiger Ausdruck, der eine Nebelwolke von Inhalten evoziert).
Diese Ambiguität hat alte Wurzeln, sie ist nicht nur durch die Etymologie von symbällein gerechtfertigt, sondern auch durch die Praxis selbst, die zu dieser Etymologie geführt hat. 3 Denn von jenen beiden aufeinander verweisenden Teilen kann man ja sagen, daß sie sich ohne Ambiguität wieder zu einem Ganzen vereinigen werden, sobald sie jemand erfolgreich wieder zusammenfügt, sie also dem Fluß der Semiose entzieht, um sie wieder Ding unter anderen Dingen werden zu lassen; dennoch ist das, was an jedem der beiden getrennten Teile fasziniert, gerade die Abwesenheit des anderen, und nur in und angesichts der Abwesenheit florieren die unbezähmbarsten Leidenschaften.
Aber verlassen wir die Etymologie. Der erste Skandal, vor dem wir stehen, ist die Tatsache, daß in bestimmten Kontexten, meist in naturwissenschaftlichen, der Ausdruck Symbol benutzt wird, um völlig klare und unumkehrbare Semioseprozesse zu bezeichnen, Objekte, die alles andere als mehrdeutig sind und ganz im Gegenteil danach
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