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Die Buecher und das Paradies

Titel: Die Buecher und das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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schwer der Versuchung oder dem Reiz entziehen, sie sich visuell vorzustellen. Es mag respektlos erscheinen, hier an Walt Disneys Schneewittchen bei der Flucht durch den Wald zu erinnern (wobei die Respektlosigkeit gemildert würde, wenn wir annähmen, daß Walt Disney an genau diese Art von poetischem Verfahren gedacht hatte), doch in Wahrheit tun sowohl Racine als auch Walt Disney nichts anderes, als einer der natürlichsten Neigungen des Menschen zu folgen, nämlich den Schatten Konsistenz zu geben, beziehungsweise in der dunklen Unförmigkeit einer erregten Natur lebendige und bedrohliche Formen zu sehen (mit Recht betrachtet Parret in diesem Zusammenhang die Hypotypose als eine der Figuren, die zur Produktion des Erhabenen beitragen).
    Was man meines Erachtens jedenfalls sagen kann, ist, daß wir es in allen diesen Beispielen mit deskriptiven und narrativen Techniken zu tun haben, deren Gemeinsamkeit einzig darin besteht, daß der Adressat einen visuellen Eindruck aus ihnen gewinnt (wenn er will, das heißt wenn er bereit ist, mit dem Text zu kooperieren). Dies erlaubt mir zu sagen, daß folglich hier die Hypotypose als besondere rhetorische Figur nicht existiert. Die Sprache gestattet uns das Beschreiben von Gesichtern, Formen, Posen, »Szenen«, Handlungssequenzen, sie gestattet es uns fortwährend im Laufe unserer alltäglichen Verrichtungen (andernfalls könnten wir nicht einmal sagen: »Hol mir bitte mal aus dem Geräteschuppen dieses Ding, das soundso aussieht«), und sie ermutigt uns erst recht dazu, dies aus künstlerischen Gründen zu tun, aber sie gestattet es aufgrund vielfältiger Techniken, die sich nicht auf eine Formel oder Instruktion reduzieren lassen, wie es bei Tropen und den rhetorischen Figuren im eigentlichen Sinne vorkommt, etwa bei der Synekdoche, dem Hyperbaton, dem Zeugma und sogar in gewissem Maße bei der Metapher.
    So bliebe uns also nichts anderes mehr übrig, als eine Typologie von Techniken der Darstellung/Evokation des Raumes in Angriff zu nehmen. Müßten wir uns nicht an diesem Punkt erst noch fragen, was eigentlich unter Raum zu verstehen ist - ohne dabei vermeiden zu können, uns die gleiche Frage auch über die Zeit zu stellen.
    Es gibt Raum und Zeit im newtonschen Sinn als absolute Größen, Raum und Zeit im kantischen Sinn als reine Anschauung und apriorische Bedingung der Erfahrung, es gibt den bergsonschen Gegensatz zwischen Zeit der Uhren und Zeit der inneren Dauer, es gibt den meßbaren Raum der cartesianischen Geometrie und den gelebten Raum der Phänomenologie. Hier geht es nicht darum, die eine oder andere Auffassung zu privilegieren, da uns die Sprache immer gestattet, von Raum und Zeit zu sprechen, und man zwanglos sagen kann, wie viele Millionen Kilometer man bis zum Sternbild Alpha Centauri zurücklegen müßte oder wieviel Lebens-(&-Leidens-)zeit eine nicht enden wollende Reise von Florenz nach Fiesole kosten kann, ganz zu schweigen von einer Reise um die eigene Schlafkammer herum (im Tristram Shandy füllt ein Gespräch zwischen zwei Personen, die eine Treppe hinuntersteigen, drei ganze Kapitel).
    Wollte man heute (nach der Erfindung neuer Darstellungstechniken wie des Films) Lessings Laokoon neu schreiben, müßte man sich fragen, ob es noch einen Sinn hat, zwischen Künsten der Zeit und Künsten des Raumes zu trennen und - wenn man das positiv beantwortet - sich fragen, wie dann die Künste des Raumes die Zeit und die Künste der Zeit den Raum darstellen können.
    Zunächst einmal lassen sich viele Überlegungen darüber anstellen, wie die Künste des Raumes den Raum darstellen. Das Hauptbeispiel dafür ist die Perspektive, in der eine zweidimensionale physische Fläche Dreidimensionalität als ihre Bedingung erzeugt und ein winziges Stück Ausdrucksraum weitesten Inhaltsraum ausdrücken kann - wie man entdeckt, wenn man zum Beispiel die Geißelung Christi von Piero Della Francesca, nachdem man sie lange in verschiedenen Reproduktionen gesehen hat, endlich im Original im Palazzo Ducale von Urbino sieht und verblüfft feststellt, daß dieser als so weitläufig wahrgenommene Raum in einen so kleinen Rahmen gefaßt ist.
    Wie die Künste des Raumes die Zeit darstellen oder geradezu die Zeit ihrer eigenen Betrachtung implizieren, habe ich an anderer Stelle behandelt. 4 Die Phänomenologie ist weit gespannt und verlangt zunächst eine Analyse der diversen Beziehungen, die Gérard Genette bezeichnende (signifiante) und bezeichnete (signifiée) Räumlichkeit nennt -

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