Die Buecher und das Paradies
Verse schlecht sang (denn wenn er sie wie schlecht auch immer sang, muß er sie ja gekannt haben). Ein Qualitätsbestsellerautor war Shakespeare, nach dem Massenpublikum zu urteilen, das ihm folgte, auch wenn es vielleicht nicht alle seine Feinheiten und seine Wiederverwendung älterer Texte mitbekam. Qualitätsbestseller waren die Promessi Sposi, die mit ihrer bisweilen geradezu dokumentarisch-histonographischen Vorgehensweise wenig Konzessionen an den Geschmack derjenigen machten, die sich bis dahin mit populären Ritter- und Schauer schmökern genährt hatten - und trotzdem ist der Roman in den ersten Jahren das Opfer unzähliger Raubdrucke geworden, und Manzoni sah sich gezwungen, dem Massengeschmack entgegenzukommen, indem er persönlich die Illustrationen von Gonin für die Ausgabe von 1840 überwachte. Wenn wir es recht bedenken, sind Qualitätsbestseller all jene großen Werke gewesen, die uns in vielen Handschriften und Druckausgaben überkommen sind, auf der Welle eines Erfolgs, der nicht nur die Leser der Elite berührt haben kann, von der Aeneis bis zum Orlando furioso, von Don Quijote bis Pinocchio. Es handelt sich also keineswegs um außergewöhnliche Phänomene, sondern um solche, die in der Geschichte der Kunst und der Literatur nicht selten vorkommen, auch wenn sie sich von Epoche zu Epoche anders erklären lassen.
Erlauben Sie nun, um den Unterschied zwischen Doppelkodierung und intertextueller Ironie zu erhellen, ein Beispiel aus meiner eigenen Schreibpraxis zu bringen. Der Name der Rose beginnt damit, daß berichtet wird, wie der Autor eine alte Handschrift gefunden hat. Man ist sofort mitten im »Zitatismus«, denn der Topos der (wieder)gefundenen Handschrift hat ein ehrwürdiges Alter, und in direkter Konsequenz betritt man auch gleich den Bereich der Doppelkodierung: Der Leser muß, will er Zugang zu der erzählten Geschichte finden, einige ziemlich gelehrte Reflexionen und eine Technik der Metanarrativität hoch drei akzeptieren, denn der Autor erfindet nicht nur aus dem Nichts einen Text, um mit ihm in einen Dialog zu treten, sondern präsentiert diesen Text auch noch als eine neugotisch-französische Version aus dem 19. Jahrhundert eines lateinischen Originals vom Ende des 14. Jahrhunderts. Der »naive« Leser kann die nachfolgende Erzählung nicht genießen, wenn er das Spiel dieser ineinandergeschachtelten Quellen nicht zuvor akzeptiert hat, und dieses Spiel taucht die ganze Geschichte in ein Ungewisses Zwielicht, weil die Quelle nicht verläßlich erscheint.
Doch wie Sie sich vielleicht erinnern, steht vor den Seiten, auf denen von dem Handschriftenfund berichtet wird, der Titel: »Natürlich, eine alte Handschrift«. Dieses »natürlich« hat mehrere Bedeutungsschichten, denn einerseits will es hervorheben, daß hier auf einen literarischen Topos rekurriert wird, und andererseits läßt es eine »Angst vor Einfluß« erkennen, denn es verweist (zumindest für den italienischen Leser) auf Manzoni, der seinen Roman ja angeblich einem Manuskript des 17. Jahrhunderts entnommen hat. Wie viele Leser werden die diversen ironischen Schichten dieses »natürlich« erfaßt haben (können)? Und wird, wer sie nicht erfaßt hat, trotzdem Zugang zum Rest der Geschichte finden, ohne daß ihm allzuviel von ihrem Reiz entgeht? Wie man sieht, läßt dieses »natürlich« schon ahnen, was intertextuelle Ironie ist.
Kommen wir nun zu den Charakteristika des postmodernen Erzählens zurück. Was die Selbst-bezüglichkeit angeht, so kann der Leser die betreffenden Reflexionen unmöglich übersehen. Er kann sich durch sie gestört fühlen, er kann sie ignorieren (überspringen), aber er kann nicht übersehen, daß sie da sind. Dasselbe gilt für die Verwendung von expliziten Zitaten, wie im Falle des Troubadours bei Dante. Dem Leser kann sehr gut verborgen bleiben, daß Arnaut hier in seiner eigenen Troubadoursprache spricht, aber er bemerkt auf jeden Fall, daß er in einer Sprache spricht, die nicht die der Commedia ist, daß also Dante hier etwas Fremdartiges zitiert, sei es auch nur die Art, wie die Provenzalen sprechen.
Um zur Doppelkodierung zu kommen, halten wir erst einmal fest, daß es mehrere Arten von Lesern geben kann (woran man sieht, wie viele Facetten dieser Begriff hat), nämlich a) einen Leser, der die Vermengung von »hohen« und »niederen« Stilmitteln und entsprechenden Inhalten nicht akzeptiert und daher die Lektüre verweigert, aber dies eben, weil er die Vermengung erkennt, b) einen
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