Die Buecher und das Paradies
die in Zitaten der Renaissance oder des Barock oder anderer Epochen schwelgen und damit »hohe« Kulturmodelle zu einem
Ensemble verschmelzen, das jedoch auch für den einfachen Nutzer angenehm und phantasievoll ist - oft zu Lasten der Funktionalität und mit neuer Lust an Ornament und Bühnenbild. Zahllos sind zum Beispiel die Zitate und Lösungen einer kühnen Avantgarde in dem neuen Guggenheim-Museum von Bilbao, das jedoch auch Besucher anzieht, die keine Ahnung von Architekturgeschichte haben, und das ganz allgemein (auch statistisch gesprochen) »gefällt«. Im übrigen findet sich dieses Element auch in den Songs der Beatles, die nicht zufällig unter anderem in der Manier von Purcell vorgetragen worden sind (auf einer unvergeßlichen Platte von Cathy Berberian), eben weil diese eingängigen und angenehmen Melodien »hochkulturelle« Stileme und Echos aus früheren Zeiten benutzen, die das geschulte Ohr hören kann.
Beispiele für Doppelkodierung finden sich heute in vielen Werbespots, die wie experimentelle Filme gebaut sind, denen früher nur verschwindend kleine Cinephilen-Grüppchen applaudiert hätten, die jedoch aus wechselnden »populären« Gründen - Anspielung auf erotische Situationen, Reiz eines bekannten Gesichts, Schnittrhythmus, unterlegte Musik - alle Arten von Zuschauern anziehen.
Viele literarische Werke sind wegen eines wiederentdeckten Plots mit spannender Handlung von einem breiten Publikum akzeptiert worden, das eigentlich hätte abgeschreckt sein müssen von ihren auch verwendeten avantgardistischen Stilmitteln wie dem inneren Monolog, dem metanarrativen Spiel, der Vielzahl von »Stimmen«, die sich in den Gang der Erzählung einmischen, dem Aufbrechen der zeitlichen Abfolge, dem raschen Wechsel der Stilregister, dem Vermischen des Erzählens in der dritten und in der ersten Person und der freien indirekten oder erlebten Rede.
Dies alles würde indes nur heißen, daß es eben ein Charakteristikum der sogenannten Postmoderne ist, Erzählungen vorzulegen, die ein breites Publikum anziehen können, obwohl sie mit gelehrten Anspielungen und »anspruchsvollen« Stilmitteln operieren beziehungsweise (in den glücklichsten Fällen) beide Komponenten in einer nichttraditionellen Weise verschmelzen. Zweifellos ist dies ein interessantes Phänomen und hat nicht umsonst verblüffende Erklärungsversuche bei den Theoretikern des sogenannten »Qualitätsbestsellers« hervorgerufen, das heißt jenes Buchtyps, der gefällt, obwohl er einen gewissen künstlerischen Anspruch hat und den Leser mit Problemen oder Verfahrensweisen konfrontiert, die früher allein das Kennzeichen der Elitekunst waren.
Es ist nie klar gewesen, ob unter Qualitätsbestseller ein auf Popularität angelegter Roman zu verstehen ist, der einige anspruchsvolle Strategien benutzt, oder ein anspruchsvoller Roman, der aus irgendwelchen mysteriösen Gründen populär geworden ist. Im ersten Fall müßte das Phänomen durch eine Strukturanalyse des Werks erklärt werden, die beispielsweise zu dem Ergebnis käme, daß seine Attraktivität für den Massengeschmack auf der Präsentation einer spannenden Geschichte beruht, womöglich einer Kriminalgeschichte, die den Leser mitreißt und ihm dadurch ermöglicht, die stilistischen oder strukturellen Hürden zu überwinden. Im zweiten Fall beträfe das Phänomen die Kompetenz einer Rezeptionsästhetik und mehr noch eine Rezeptionssoziologie. Man müßte zum Beispiel sagen, daß der Qualitätsbestseller nicht vom Projekt einer Poetik abhängt, sondern von einer Veränderung in den Neigungen des Lesepublikums; denn einerseits unterschätze man nicht das Aufkommen einer Kategorie von »naiven« Lesern, die gesättigt mit »leichten« und problemlos konsumierbaren
Texten den Reiz von Werken entdecken, die sie zu einer zwar anspruchsvolleren, aber in gewisser Weise auch lohnenderen Erfahrung herausfordern, für die sie dann sogar zu mehrmaliger Lektüre bereit sind, und andererseits haben viele Leser, die von den Verlagen noch immer als »naiv« angesehen werden, auf verschiedenen Wegen längst vieles von den Techniken der modernen Literatur absorbiert und fühlen sich daher angesichts von Qualitätsbestsellern weniger verunsichert als manche Literatursoziologen.
In diesem Sinne wäre der Qualitätsbestseller als Phänomen so alt wie die Welt. Ein Qualitätsbestseller war ohne Zweifel die Divina Commedia, wenn wir der Legende glauben dürfen, nach welcher Dante den Schmied bestrafte, der seine
Weitere Kostenlose Bücher