Die Buecher und das Paradies
Leser, der sich damit sehr wohl fühlt, weil ihm dieser Wechsel von Schwierigkeit und Entgegenkommen, Herausforderung und Einladung gefällt, und schließlich c) einen Leser, der das ganze Werk als liebenswürdige Einladung auffaßt und gar nicht merkt, in welchem Umfang es elitäre Stileme zitiert (der also das Werk genießt, aber die Bezugnahmen nicht wahrnimmt).
Nur dieser dritte Fall führt uns in die Strategie der intertextuellen Ironie ein. Wer angesichts jenes »natürlich« das Augenzwinkern versteht, stellt ein privilegiertes Verhältnis zum Text (oder zur Erzählerstimme) her. Wer es nicht versteht, liest trotzdem weiter -und hat dann zwei Möglichkeiten: Entweder ihm geht von selber auf, daß es sich bei jener Handschrift um eine literarische Fiktion handelt (deren Raffinesse er dann zum ersten Mal schätzen lernt, wodurch seine Kompetenz als Leser »wächst«), oder er schreibt mir einen Brief und fragt mich - wie es viele getan haben -, ob diese faszinierende Handschrift tatsächlich existiert. Einen Unterschied sollte man jedoch beachten: In Fällen von beispielsweise architektonischer Doppelkodierung kann dem Betrachter sehr wohl verborgen bleiben, daß eine Säulenreihe mit Tympanon die griechische Tradition zitiert, und trotzdem wird er die Harmonie und geordnete Vielfalt dieses Bauwerks genießen. Dagegen weiß der Leser, der den Sinn meines einleitenden »natürlich« nicht erfaßt, beim Weiterlesen bloß, daß er eine alte Handschrift liest, während ihm die Bezugnahme und ihre liebevolle Ironie entgeht.
Ein Werk kann von Zitaten aus anderen Texten nur so wimmeln und trotzdem kein Beispiel für intertextuelle Ironie sein. Um nur eines zu nennen, Eliots Waste Land erfordert viele Seiten Anmerkungen, um alle Bezugnahmen auf die Welt nicht nur der Literatur, sondern auch der Geschichte und der Ethnologie zu erklären, aber Eliot macht seine Anmerkungen gerade, weil er sich keinen naiven Leser vorstellen kann, der nichts von all dem versteht und trotzdem imstande ist, seinen Text hinreichend zu genießen. Ich würde sagen, die Anmerkungen sind ein integraler Bestandteil des poetischen Textes. Gewiß könnten »ungebildete« Leser sich damit begnügen, den Text wegen seines Rhythmus und Klanges zu schätzen, wegen jenes Quantums an Phantasmatischem und Phantasieanregendem, das auf der Inhaltsebene erkennbar wird, und dabei irgendwie ahnen, daß es noch mehr zu erfassen gäbe, also mit anderen Worten das Werk genießen wie jemand, der durch eine halb geöffnete Tür horcht und nur Andeutungen einer verheißungsvollen Enthüllung sieht. Aber das wären für Eliot (glaube ich) keine vollwertigen Leser, es wären nicht die ModellLeser, die er anstrebte und sich heranbilden wollte.
Fälle von intertextueller Ironie gibt es dagegen diverse, und eben deshalb charakterisieren sie Formen von Literatur, die bei allem Bildungsanspruch auch breiten Erfolg haben können: Der Text kann naiv gelesen werden, ohne daß der Leser die intertextuellen Bezüge erfaßt, oder er kann in vollem Bewußtsein dieser Bezüge gelesen werden, zumindest in der Überzeugung, daß es sich lohnt, nach ihnen zu suchen. Um einen Grenzfall zu nehmen: Stellen wir uns vor, wir sollten den Don Quijote in der Neufassung von Pierre Menard lesen (und der Text von Menard sei mindestens in dem Maße, wie es Borges behauptet, anders interpretierbar als der von Cervantes). Wer noch nie von Cervantes gehört hat, würde eine alles in allem fesselnde Geschichte lesen, eine Reihe von heroisch-komischen Abenteuern, deren Reiz das nicht gerade moderne Kastilisch, in dem sie geschrieben sind, überdauert. Wer dagegen die ständige Bezugnahme auf den Text von Cervantes erkennt, wird imstande sein, nicht nur die Entsprechungen zwischen diesem und dem Text von Menard zu erfassen, sondern auch die ständige unvermeidliche Ironie des letzteren.
Anders als allgemeinere Fälle von Doppelkodierung lädt intertextuelle Ironie, wenn sie mit den Möglichkeiten einer doppelten Lektüre spielt, nicht alle Leser zum selben Fest ein. Sie trifft eine Auswahl und bevorzugt die intertextuell versierten Leser, aber sie schließt die weniger erfahrenen nicht aus. Naive Leser werden, wenn der Autor eine Person ins Spiel bringt, die plötzlich ausruft: »Paris ä nous deux!«, den Verweis auf Balzac nicht erkennen und trotzdem imstande sein, sich für eine Person zu begeistern, die zu kühner Herausforderung und Draufgängertum neigt. Informierte Leser dagegen »picken«
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